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zwischen den rillenAusgezwittert: Placebo rocken wieder

Travestie und Libido

Placebo rocken. Das taten sie zwar schon immer, aber spätestens seit ihrem Erfolgsalbum „Without You I’m Nothing“ rockten sie gewissermaßen geschminkt. Dass es hier recht geradeaus und kantig vorwärts ging, das konnte unter dicken Schichten aus Glamour und sexueller Zweideutigkeit schon mal in Vergessenheit geraten.

Er sah ja auch zu süß aus, der kleine Brian Molko, mit seinen schwarz gefärbten langen Haaren und den schwarz lackierten abgeknabberten Fingernägeln. Ein zierlicher sex dwarf, wie ihn die Briten nannten. Ein prototypischer Daniel Küblböck, der mit quengeliger Stimme Zweideutiges sang: „When you come you never make a single sound“. Ein Künstler, der den Aspekt der puren Körperlichkeit im Rock um eine interessante Variante erweitert hat.

In einer Branche, wo athletische Gestalten von Motörhead über Manowar bis Metallica Gewichte stemmen, um die Last ihrer tonnenschweren „Walls Of Sound“ besser auf den breiten Schultern tragen zu können, wirkt ein Brian Molko merkwürdig deplatziert – als könnte er jeden Augenblick durch bloße Lautstärke von der Bühne geblasen werden. In eben diesem polaren Kraftfeld aus Wucht und Schwäche erhält die Musik von Placebo ihren eigentümlichen erotischen Drall – zu besichtigen übrigens auch im leider gefloppten Glamrock-Film „Velvet Goldmine“, wo sich die Band selbst spielte. Und Altmeister David Bowie, der um solche Effekte weiß, spielte mit Placebo deren majestätische Ballade „Without You I’m Nothing“ neu ein, kaum war das Original auf dem Markt. Im Duett waren dann zwei Zwitter des Pop unter sich, womit aber auch schon der Gipfel der Popularität erreicht war.

Mit der Veröffentlichung ihres Albums „Black Market Music“ schlug Placebo ein Gegenwind entgegen, der selbst für britische Verhältnisse erstaunlich rüde ausfiel: Allein der Titel der Platte sei unverschämt, weil Placebo damit suggerierten, sie täten Verbotenes, wo sie doch nur Durchschnittliches zuwege brächten, hieß es da. Der NME höhnte gar über die Single „Taste In Men“, etwa alle fünf Jahre würden neue Popstars ihrer Karriere mit dem billigen Trick auf die Sprünge helfen, sich sexuell desorientierten Jugendlichen als Identifikationsfigur anzubiedern – siehe Bowie oder Bolan. Wenig förderlich wird auch gewesen sein, dass Placebo „Black Market Music“ selbst produzierten, was dem Album einen zwar angenehm ungeschliffenen, aber unangenehm heterogenen Sound bescherte.

Solche Kritik mag begründet gewesen sein. Doch „Sleeping With Ghosts“ ist anders. Was natürlich daran liegt, dass die Band diesmal weise Abstand davon genommen hat, ihr Material selbst zu produzieren, und diese Arbeit Jim Abiss übertrug, der von Björk bis Massive Attack schon allerhand Elektronisches hörbar gemacht hat. Was Abiss nun mit Placebos handgemachter Vollgas-Musik anstellte, kann sich hören lassen. Beziehungsweise eben nicht.

Wer den Effekt seiner Arbeit verstehen will, der sollte der Metapher zuliebe seine moralischen Bedenken für ein paar Sätze über Bord werfen – und sich kurzerhand ein Flugzeug wie den Tarnkappenbomber vorstellen: damit das Ding auf dem Radar nicht erkannt wird, ist es so krude konstruiert, dass es vom Himmel fallen müsste, wenn es nicht fortwährend von komplizierten Computersystemen stabilisiert würde. So verhält es sich auch mit „Sleeping With Ghosts“. Es rast dahin, und Jim Abiss ist für die elektronisch geregelte Stabilität zuständig. Hier wird taktweise das Schlagzeug um ein paar Loops ergänzt, dort wird die Gitarre durch den Sequenzer gedreht – so sublim, dass der Hörer von den elektronischen Modifikationen kaum Notiz nimmt.

Deutlicher zutage tritt da schon Brian Molkos Hadern mit dem fortschreitenden Alter, das sich beiläufig im „so Dahergesungenen“ spiegelt. Nein, ausgeruhtes Gezupfe auf der Akustischen vermisst man hier ebenso wie liebreizende Balladen. Wurden aber früher noch durchaus affirmativ die Segnungen einer gewissen Droge mit Songs wie „Special K“ gepriesen, so klingt das heute, aus Feder und Mund eines 30-Jährigen, eher einsichtig: „Protect me from what I want“.

Im Übrigen hat sich an dem erfreulichen Umstand nichts geändert, dass Molkos Texte sich als lyrische Dienstleistungen für jedwede Phase des Liebeskummers eignen – was bestätigen kann, wer die Single „Bitter End“ im Radio gehört hat. Oder im Musikfernsehen, wo die Band für ihr Video weder auf die Windmaschine noch auf irgend ein anderes rockistisches Klischee verzichten mochte. Warum auch?

Placebo haben sich nicht verändert, nur präzisiert und erkannt: Travestie ist nicht die Triebfeder des Rock. Libido aber war es, bleibt es und wird es immer sein. ARNO FRANK

Placebo: „Sleeping With Ghosts“ (Virgin)

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