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„Werner“ hart am Wind

Weltumsegelung gestartet. Schwierige Bedingungen. Wahrheit-Exklusivbericht

24. März 2003, 14 Uhr

Endlich, endlich! Ich bin mit meinem selbst gebauten Windjammer „Werner“ ausgelaufen. Starthafen Hörstel am Dortmund-Ems-Kanal. Großer Auflauf. Familie Brettschneider und Tellermanns aus der Wegerich-Straße sind gekommen, um mir Glück zu wünschen. Salz und Brot, eine blaue Luftmatraze.

Und Doktor Knorck. Der ist zwar mein Arzt, aber nicht mein Lebensberater. Soll sich um seine Sachen kümmern. Von wegen: „Ich sei doch noch nie gesegelt, und mein ‚Werner‘ mache nicht gerade den stabilsten Eindruck.“ Dabei ist mein „Werner“ ein astreiner Eigenbau. Alles selbst von Hand ausgesägt und geleimt und getackert nach den Original-Faller-Plänen. Das Modell schwimmt wie eine Eins! Nur den Maßstab hab ich geändert. Was soll da schon schief gehen?

25. März 2003, 11 Uhr

Es geht zügig voran. Sind das schon die Schrebergärten von Salzhausen? Wenn es nur schon die Nordsee wäre! Einmal auf hoher See, geht es erst richtig los, für uns Seebären. Nicht dieses Gepaddele. Aber ich will ein echter Weltumsegler sein! Keine Hilfmittel, nur meine treuen Segel! Apropos Segel – mein Vorderfock macht mir Sorgen. Irgendwie schlapp. Vielleicht war der Vorhang von Frau Kammerlander doch nicht das Richtige. Doktor Knorck nervt. Immer mit dem Fahrrad am Ufer entlang und lästiges Rufen: „Haben Sie Ihre Tabletten genommen?“

26. März 2003, 18 Uhr

So schön eine Weltumseglung ist: ganz schön anstrengend das Ganze. Von früh bis spät paddeln und nachts nur eine Wolldecke. „Werners“ Kajüte ist nicht sonderlich komfortabel. Viel zu viel Wasser. Ob das so sein muss? Irgendwie kommt es mir auch so vor, als würde das Schiff immer kleiner. Im Kielwasser treiben öfter mal mir bekannt vorkommende Holzstücke davon.

27. März 2003, 16 Uhr

Ist das schön! Am Ufer die ersten Palmen! Es ging schneller als ich gedacht hatte! Eingeborene Frauen mit selbst gemalten Einkaufstüten am Ufer. Diese herben Gesichter! Diese Lockenwickler! Wie schön sie sind, wie schlicht! Im Schmucke ihrer Kittelschürzen streben sie Aldi zu! Aldi! Wie bekannt mir das alles vorkommt! Und wie fremd!

Übrigens: Doktor Knorck! Sie brauchen gar nicht versuchen, sich zu verbergen! Ich habe Sie längst entdeckt in diesem Dingy, das mir schon seit Stunden folgt. Erkennen Sie endlich, dass Sie meinen Plan nicht verhindern können. Ich werde die Welt umsegeln, auch wenn mein „Werner“ im Prinzip nicht mehr ist. Außer Frau Kammerlanders Vorhang ist nichts von ihm geblieben. Immerhin habe ich noch die blaue Luftmatratze. Ich werde der erste Mensch sein, der auf einer blauen Luftmatratze, mit nichts als einem Vorhang zum Schutze gegen die Unbilden der Natur, die Welt umpaddelt! Blow, boys, blow!

Ich muss leider enden, denn von Backbord nähern sich feindliche Eingeborene in weißen Jacken. Sonderbar: Doktor Knorck ist unter ihnen. Schnell weg. Morgen mehr. ALBERT HEFELE

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