: Das Rathaus als Kultur-Asyl
Der ehemalige Domkantor Wolfgang Helbich wird heute offiziell vom Kultursenator geehrt – mit einem Empfang
Ex-Domkantor Wolfgang Helbich wird heute mit einem Senatsempfang „für sein großes Engagement im Bremer Musikleben“ geehrt. Zum Politikum wird der um zwölf Uhr beginnende Akt dadurch, dass sich Helbich von seinem eigentlichen Dienstherren – dem Vorstand der Domgemeinde – ohne jede Verabschiedung trennte. Hintergrund ist die Ablehnung von Helbichs Wunsch, nach dem 65. Geburtstag weiter zu arbeiten. Der Vorstand wollte einen personellen Neuanfang, um Einsparungen vornehmen zu können.
Nun also springt der Bürgermeister ein, um dem überregional profilierten Chorleiter und Dom-Dissidenten einen ehrenden Abschied zu veranstalten. Jens Böhrnsen tut das nicht als Kirchensenator, sondern als Chef des Kulturressorts – das für Kirchenmusik gar nicht zuständig ist. Allzu amtlich wollte er den Dom doch nicht düpieren.
Dabei ist es nicht das erste Mal, dass das Rathaus ausgleichend tätig wird, um einem verdienten Kultur-Matador Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Ehrung von Intendant Klaus Pierwoß vor anderthalb Jahren folgte einer ähnlichen Logik. Zwar hatte Pierwoß die Genugtuung, noch die Abwahl des mit ihm völlig über Kreuz liegenden Kultursenators Jörg Kastendiek zu erleben, doch da war es für die gewünschte Vertragsverlängerung zu spät. Als „Initiative der Gegner meiner Gegner“ akzeptierte Pierwoß dann die als versöhnliche Geste gemeinte Verleihung des Bundesverdienstkreuzes im Rathaus.
Neu ist nun, dass sich die verprellten Kultur-Akteure gleich komplett in die (nominelle) Obhut des Rathauses begeben. Weil zwei Drittel des bisherigen Domchores weiter bei ihm singen will, hat Helbich einen „Raths-Chor“ gegründet. Die Kirche reagiert mit einem Raum-Boykott, weshalb die Aufführung des Bach’schen Weihnachtsoratoriums am 6. Dezember in Lunsen stattfindet. An Heiligabend ist das Exil-Konzert bundesweit im Deutschlandradio zu hören.
Dem historisierenden „h“ im „Raths-Chor“ zum Trotz gibt es in Bremen keinerlei Tradition eines solchen Obrigkeits-orientierten Klangkörpers, aber immerhin singt schon ein ehemaliger Bürgermeister mit: Henning Scherf, der heute auch beim Senatsempfang spricht. Als Präsident des deutschen Chorverbandes hat Scherf übrigens einen Geschäftsführer, der die Personalpolitik der Bremer Hauptkirche ebenfalls am eigenen Leib erfahren hat: Als Organisator der Dommusik wurde ihm kurzerhand die Stelle halbiert. HB
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