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„Lachen Sie doch nicht!“

Gespräch mit Hans Meyer, dem Trainer, der Hertha BSC Berlin vor dem Abstieg aus der Bundesliga bewahren soll, dabei mit dem 0:4 bei Werder Bremen jedoch keinen idealen Auftakt erwischte

INTERVIEW FRANK KETTERER UND MARKUS VÖLKER

taz: Herr Meyer, seit letzten Samstag sind auch Sie schuld an der Misere von Hertha BSC. Wie lebt es sich damit?

Hans Meyer: Da ich keiner bin, der sich für Siege verantwortlich fühlt und für Niederlagen nicht, trage ich am 0:4 von Bremen natürlich meinen Anteil. Meine Schuldgefühle halten sich dennoch in Grenzen, weil ich alles, was ich bisher bei Hertha getan habe, nach bestem Wissen und Gewissen getan habe.

Dennoch wurde in der Öffentlichkeit bereits erste Anklage geführt. Der Tatbestand: Hertha ist noch tiefer gesunken – und das mit Hans Meyer.

Wenn das so gesagt oder geschrieben wird, dann habe ich das zu akzeptieren. Ich möchte mit Ihnen aber nicht über irgendwelche Dinge, die in irgendwelchen Boulevardblättern geschrieben werden, diskutieren. Was dort geschrieben steht, interessiert mich nicht.

Es interessiert Sie nicht, wenn dort per Schlagzeile suggeriert wird, Meyer, also Sie, sei bereits am Ende?

Ach, wissen Sie, ich habe doch schon bei Borussia Mönchengladbach drei Jahre lang Boulevardjournalismus erlebt, mit allem, was dazugehört: also mit Unterstellungen, mit Lügen, mit Voreingenommenheit. Und Sie werden doch nicht glauben, dass ich mit 60 plötzlich anfange, solche Blätter zu verschlingen, so wie manche Spieler das tun.

Gut! Dann machen wir mit einem Satz von Hans Meyer über Hans Meyer weiter. Der hat gesagt: „Ich bin manchmal bis zum Erbrechen Realist.“ Wie sehr hat sich dieser Realismus nach dem Bremen-Spiel verändert?

Das ist genau das, was mich verwundert! Stellen Sie sich vor, wir bekommen gegen Bremen, die derzeit beste Mannschaft Deutschlands, kurz vor der Halbzeit durch einen fantastischen Spielzug der Bremer ein Tor. Und stellen Sie sich vor, wir spielen die zweite Halbzeit in etwa so, wie wir sie gespielt haben, nämlich gar nicht so schlecht.

Was wäre dann?

Dann spricht anschließend keiner von dieser absoluten Katastrophe, die wir 25 Minuten lang produziert haben, und alles wäre einigermaßen in Ordnung, obwohl wir auch dann verloren hätten.

Niederlage ist, von den fehlenden Punkten einmal abgesehen, aber nicht gleich Niederlage. Und mit Verlaub: Auch Sie sahen einigermaßen geschockt aus.

Da muss ich mich aber sehr wundern, was Sie da in die Verhaltensweisen des Hans Meyer hineininterpretieren. Und bitte stellen Sie mir jetzt nicht die Frage wie der von der ARD, der mich gefragt hat, ob ich enttäuscht sei. Das ist in etwa so, als ob ein geliebter Mensch von mir stirbt, und ihr fragt mich: Macht Ihnen das was aus? Das ist so idiotisch.

Aber Herr Meyer, Sie sind doch bestimmt mit einer Idee nach Bremen gefahren, wie Werder beizukommen sein könnte.

Aber sicher. Und Sie haben doch gesehen, dass die Mannschaft es auch richtig wollte. Und dann hat der Marcelinho mit Absicht seinen Freund Ailton bedient, mit purer Absicht. Jetzt lachen Sie doch nicht! Sie wissen doch, wie es im Fußball ist: Dass solche Dinge ein Spiel entscheiden können. Dass wir im Anschluss an dieses Tor so ins Wackeln geraten und umfallen, das hätte ich, das gebe ich zu, nach unserer guten Vorbereitung in der Winterpause nicht gedacht. Wenn Sie mich danach aber geschockt oder resignierend gesehen haben, dann stimmt das einfach nicht.

Sondern?

Natürlich habe ich es mir anders vorgestellt. Aber ich bin nicht so enttäuscht wie viele, dass wir dort verloren haben. Oder wollen Sie mir weismachen, dass Sie zu den Fantasten gehören, die vor dem Spiel gesagt haben: Die Bremer hauen wir weg? Was mich viel mehr gedrückt hat, ist das Wie. Dass Werder nicht ganz fantastisch gespielt hat, sondern dass wir die 25 Minuten nach dem 0:1 so richtig mitgeholfen haben. Gehen Sie aber dennoch davon aus, dass der Hans Meyer nach diesem Spiel nicht sagt: Jetzt ist alles verloren, jetzt ist alles kaputt. Zum Handtuchwerfen ist es zu zeitig.

Herr Meyer, gibt es einen Unterschied zwischen normalem Fußball und Fußball im Abstiegskampf?

Ob es gegen den Abstieg oder um die Meisterschaft geht, ist vom Prinzip her dasselbe. Wenn du, wie Christoph Daum damals mit Leverkusen, fast 33 Spieltage vorne liegst, richtig die Chance hast, Meister zu werden – und dann mit 0:2 in Unterhaching verlierst, dann ist das wie Absteigen. Das sind die selben Mechanismen: die Angst zu versagen. Auf jeden Fall ist es etwas ganz anderes, als wenn du irgendwo im Mittelfeld unter ferner liefen spielst, so wie in dieser Saison Bochum zum Beispiel. Dort hat von Saisonbeginn an alles gestimmt, und jetzt liegen sie weit vor dem, was die Öffentlichkeit und die Fans von ihnen erwarten. Wenn Bochum jetzt verliert, ist es zwar immer noch Scheiße, aber auch nicht viel mehr. Wenn wir verlieren, droht daran der Club kaputtzugehen.

Was muss man in dieser Situation als Trainer machen?

Was würden Sie machen?

Wir würden Sie fragen.

Und ich könnte Ihre Frage nicht allgemeingültig beantworten. Wir haben hier bestimmt zwei, drei Spieler dabei, denen müssten sie eigentlich jeden Tag in den Arsch treten. Und dann haben Sie wiederum vier, fünf oder sogar sechs Spieler, wo jedes kritische Wort noch mal ein Dämpfer ist, ein zusätzlicher Schlag. Vor allem das muss man wissen.

Was haben Sie durch das Bremen-Spiel Neues über Ihre Mannschaft erfahren?

Gar nichts. Ich bin nur bestätigt worden.

Worin?

In meinem Wissen, dass Rückschläge wie das 0:1, das gegen Bremen immer passieren kann, dafür sorgen, dass wir im Grunde bis zur Pause nicht mehr Fußball spielen.

Auch mit Borussia Mönchengladbach haben Sie Abstiegskampf-Erfahrung gesammelt. Was ist der Unterschied?

Der entscheidende Unterschied ist vielleicht der, dass wir in Gladbach zumindest im ersten Jahr wussten, dass wir im Abstiegskampf stecken würden. Und dass wir, selbst als wir dann tatsächlich mal in die Nähe der Abstiegsplätze kamen, immer noch nicht so weit weg waren von dem, was wir vorher wollten, nämlich: nicht absteigen.

Soll heißen?

Dass es ein riesiger Unterschied ist, ob ich Dritter werden will und dann plötzlich Letzter bin; oder ob ich von vornherein weiß, dass es nicht um mehr geht als den Klassenerhalt.

Worin liegt der Unterschied?

Wenn du gegen den Nichtabstieg als Zielstellung kämpfst und im Frühjahr dann drei, vier Punkte davon weg bist, dann hast du eine Situation, in der alles stimmt und alles intakt ist, obwohl du relativ weit unten stehst. Bei Hertha war es so, dass die Spieler von Saisonbeginn an mit Enttäuschungen fertig werden mussten, eben weil auch sie der Meinung waren, dass sie weiter vorne, vielleicht sogar ganz vorne mitmischen können. Das ist ein ganz entscheidender Unterschied.

Was ist schief gelaufen bei Hertha?

Hertha ist mit hohem Anspruch in die Saison gestartet, und auch die Vorbereitung lief richtig gut. Hinzu kamen die Vorschusslorbeeren für unsere Neuen, ohne dass man zu diesem Zeitpunkt in der Lage gewesen wäre, einzuschätzen, ob das überhaupt zusammenpassen wird. Dann kommt das allererste Spiel – und Berlin spielt auch noch gegen Blinde.

Sie meinen das Heimspiel gegen Werder Bremen.

Genau. Aber wir haben damals ja nicht gegen Werder Bremen gespielt, sondern gegen jene Blinden, die kurz zuvor im UI-Cup gegen Pasching ausgeschieden waren. Wir, die wir Dritter werden wollen und jetzt Fredi Bobic im Sturm haben, spielen also gegen Blinde, die gegen Österreicher verloren haben. Und dann verliert Hertha gegen die Blinden, von denen sich später heraus stellt, dass es gar keine Blinden sind, sondern die beste Mannschaft Deutschlands. Aber das wusste damals ja noch keiner.

Diese eine Partie ist schuld an Herthas Niedergang?

Sie hat die Richtung vorgegeben. Sie ist der Anfang von dem, was wir derzeit durchmachen.

Dafür gab es keine Anzeichen?

Wenn ich Gespräche mit der Mannschaft zugrunde lege, dann sagen mir eine Menge von diesen Jungs, dass sie sich schon in der letzten Saison nicht so ganz hundertprozentig als Truppe gefühlt haben. Schon da wurde der Uefa-Cup-Platz ja alles andere als souverän erreicht. Und wenn dann auch noch, wie in den folgenden Partien gegen Stuttgart oder Freiburg, Pech hinzukommt oder Verletzungen, so wie der Fußbruch von Marcelinho, dann kommst du als Mannschaft in ein ganz falsches Fahrwasser. Und irgendwann, das ist völlig normal, beginnen dann aus der Enttäuschung heraus auch noch die gegenseitigen Schuldzuweisungen.

Welche Möglichkeit der Einflussnahme auf eine solche Entwicklung hat der Trainer?

Der Trainer kann nur Anstöße geben, damit sich in irgendeiner Weise etwas bewegt. Bewegen aber müssen es die Spieler. Ich gehöre nicht zu den Trainern, die behaupten: Dort, wo ich hinkomme, wird eine Mannschaft immer schlagartig besser. Richtige Leistung kann ein Trainer, egal wo und wen er trainiert, nur produzieren, wenn er eine klare Vision hat – und die Spieler, um diese Vision umzusetzen.

Hat Hertha die Spieler für Ihre Vision?

Fragen Sie mich doch nicht so dummes Zeug. Sie wissen doch, dass ich hier hergekommen bin, ohne es mir in dieser Frage aussuchen zu können. Also bin ich momentan auch in einer Zwangslage. Ich bin ja nicht nach Berlin gekommen in der Annahme, dass hier alles stimmt. Dann hätte ich ja wirklich den Mist geglaubt, dass Huub Stevens der Blinde war, der das alles hier verbockt hat. Das hab ich aber nicht.

Sondern?

Wenn ich auf dem Marktplatz in Gladbach von den Fans gehuldigt und gefeiert werde, dann sag ich doch auch, dass es die Spieler waren – und nicht ich. Die Spieler haben nämlich gewonnen. Und mein Anteil daran als Trainer ist nicht so groß, wie der eine oder andere glaubt, der meint über einen Trainer herfallen zu müssen, wenn es mal nicht so läuft. Wenn auf dem Platz etwas nicht so funktioniert, wie es gedacht ist, hast du als Trainer keine Chance mehr, es zu ändern.

Siehe Marcelinhos Rückpass gegen Bremen.

Ja. Genau. Ich habe vor dem Spiel noch zu Marcelo gesagt, dass er auf keinen Fall einen Ball zurückspielen soll, wenn sein Freund Ailton irgendwo in der Nähe ist. Aber er hat es doch gemacht, okay.

Okay?

Das, was auf dem Platz passiert, ist unheimlich simpel und einfach. Aber das, was in den Köpfen läuft, was dort passiert, das ist nicht so einfach. Und durch dumme Artikel in bestimmten Zeitungen wird es nicht einfacher.

Herr Meyer, in Gladbach sind Sie von Ihrem Traineramt zurückgetreten. Können Sie sich vorstellen, mit Hertha in eine ähnliche Situation zu kommen?

In Gladbach war das eine völlig andere Situation. Das ist schlecht vergleichbar, zumal Sie nicht alle Hintergründe kennen. Gehen Sie aber davon aus, dass ich jetzt reichlich vier Wochen hier arbeite, und dass mich dieses Spiel gegen Bremen zwar enttäuscht, mich aber noch nicht von dem Glauben abgebracht hat, dass ich es mit der Mannschaft schaffen kann. Sonst würde ich ganz sicher zu Dieter Hoeneß gehen und ihm das mitteilen.

Können Sie Ihre große Karriere mit einem Abstieg abschließen?

Wenn Hans Meyer beim Tabellenvorletzten unterschreibt, dann können Sie davon ausgehen, dass er über alle Möglichkeiten, die sich mit einem solchen Schritt ergeben können, nachgedacht hat. Und gehen Sie auch getrost davon aus, dass es mich unheimlich drücken würde, das Werk von Dieter Hoeneß mit einzureißen. Und dass es mich unheimlich drücken würde für die Fans und diesen Verein, der in den letzten Jahren so richtig was aufgebaut hat. Gehen Sie aber trotzdem auch davon aus, dass bei mir selbst nach einem Abstieg nicht der Suizid käme, sondern dass meine Enkelkinder und meine Familie auch danach da sind und das Leben für mich weitergeht. Aber warum diskutieren wir überhaupt darüber? Fragen Sie mich doch lieber, was ich mache, wenn wir am letzten Spieltag drinnen geblieben sind.

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