ausgehen und rumstehen: Wangenküsse für einen Euro
Eine Hochzeitsgesellschaft tauchte auf. Eine große Gruppe junger Frauen, die es in dieser Zusammenballung selten zu sehen gibt, besonders in einer Bar wie der Ankerklause. Es war auch keine ganze Hochzeitsgesellschaft, sondern ein Junggesellinnenabend. Die Braut, die hübscheste der Frauen ging herum und lud männliche Gäste auf einen Wodka für einen Euro ein. Wir vermuteten zuerst die in Berlin üblich gewordene Art des Um-Geld-Anpumpens dahinter – und möchten hiermit auch zum Ausdruck bringen, dass es wunderschön wäre, mal nicht abends beim Bier oder tags beim Kaffee angeschnorrt zu werden. Und wer glaubt, dass wir reich wären, der darf sich auf Anfrage gern unsere letzten Kontoauszüge ansehen.
Zwei Wangenküsse kosteten einen weiteren Euro. Wir entschieden uns für den Wodka, ohne Küsse, trauerten ein wenig nicht gemachten Anträgen hinterher und bestaunten die junge Frau, die eine klassische Ehe einzugehen beabsichtigte. Wie schön.
Nebenher unterhielten wir uns über „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“, ein Buch, in dem am Ende ein gelb geflaggtes Schiff über ein Gewässer dümpelt, mit zwei Liebenden, von denen zumindest einer Jahrzehnte auf die Erfüllung seiner Liebe gewartet hat. Außerdem redeten wir über 88 kommentierende Punx (ausgerechnet 88!), die sich über Tobias Rapps Artikel über dumme Punks aufregten, und über Abweisungen, Egoprobleme und die beste Art und Weise, vom Virtuellen ins Reelle zu kommen, während die tolle Musik von Annie und den Ting Tings aus der Jukebox schallte.
An Abenden wie diesem mögen wir die Ankerklause. Es spricht einiges für sie: Sie liegt schön am Ufer, sie hat zwei bis drei gut separierte Räume, an den Seiten darf geraucht werden, in der Mitte nicht. Die Leute sind gut durchmischt. Selbst die Toiletten sind in Ordnung: Sie sind abschließbar und weisen einen ausreichenden Vorrat an Toilettenpapier auf. Es gibt einen Spiegel über dem Waschbecken und Seife zum Händewaschen. Das Bier ist günstig und gut. Hinter der Theke zapfen alle.
So standen wir da und unterhielten uns, unablässig rauchend und trinkend. Die Hochzeitsgesellschaft war unterdessen weiter gezogen, sie sammelte sich draußen unter dem großen Werbeschirm einer amerikanischen Zigarettenmarke und wartete auf die Braut, die noch einem weiteren männlichen Gast einen Wodka andrehte. Die Musik brachte irgendwas vom weißen Album der Beatles.
In einer Parallelwelt sprang jemand nackt aus einer Torte. In der Wohnung, aus der ich herkam und in die ich Stunden später wieder zurückkehrte, lag jemand einsam vor dem Fernseher. Ein israelischer Spielfilm zeigte die Abgründe dieser Welt, die viel mit Angst, Dummheit, Geld, Nacktheit und Männlichkeit zu tun haben. Wir saßen jetzt auf dem Sofa, kauten an unseren Zigaretten und zerbissen uns die Fingernägel. Nur nicht gegenseitig. Im Film verabschiedete sich jemand, vielleicht für länger, vielleicht für immer, wer weiß. Es gibt zwei Frauen, die ich hätte heiraten sollen, nicht gleichzeitig, sondern zeitlich versetzt, hatte ich in der Ankerklause erzählt. Und eine dritte, die ich tatsächlich auch heiraten wollte, nur wusste diese auch gar nichts von ihrem Glück, nun ja.
Am nächsten Morgen fuhren hupende Kleinwagen zum Standesamt und wieder zurück, ich frage mich, ob bei einer standesamtlichen Hochzeit überhaupt die Formel kommt: Und wer etwas gegen diese Ehe vorzutragen habe, möge jetzt sprechen oder für immer schweigen?
Der Rest des Wochenendes spielte sich größtenteils in der Kälte ab. Irgendwo herumstehen, rauchen und reden. Ohne Musikhintergründe. Und auch nicht abends, sondern tagsüber. Im Grunde war es also ein recht unaufregendes Wochenende, jedenfalls für uns. Muss auch einmal sein. RENÉ HAMANN
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