piwik no script img

angeschautKunst im Graubereich

Von wegen „grauer Alltag“: Grün, blau, rot, gelb prügelt die Großstadt aufs Auge ein. Nur gut, dass es Galerien gibt. Galerien? Brüllen da nicht erst recht die Farben von den Wänden? Aber nicht doch. Seit der Concept Art wissen wir: Kunst findet im Kopf statt, nicht an den Wänden, Ideen braucht es, keine Farbpalette. Grau ist alle Theorie, und für Kunstausstellungen heißt das: graue Wände – Beruhigung für Sinne und Seele.

Sehr verkehrsgünstig liegt da die Galerie Michael Janssen: Soeben noch vom Farbgewitter der Ehrenstraße geblendet, gehen gestresste Shopper nur ein paar Schritte Richtung Norden, öffnen eine Tür und atmen auf: Da sind sie endlich: graue Wände. Großformatige Leinwände ohne Grundierung, fein changierend von Perlgrau bis Fast-Weiß – Augenweide und Labsal zugleich. Auf den Leinwänden tummeln sich vereinzelt kleine Vögel im Strichmännchen-Look, stören aber nicht weiter.

Halt, ein Zettel, eine Erläuterung! Das Konzeptionelle in der Konzeptkunst sind ja die langen Texte, die die Kunst erklären, so auch hier: „Neue Talentlosigkeit“ heißt die Ausstellung, Markus Huemer der Künstler. Und der Zettel belehrt, dass die grauen Vogelwände nicht da hängen, damit sich unsere Augen erholen. Sie sollen stattdessen „ironisch“ zwinkern. Die groben Leinenparavents sind „humorvolle“ Reflexion über die Entmaterialisierung des Bildes in Zeiten neuer Medien? Und die kleinen Kritzelvögel beziehen sich auf Sigmar Polke und spielen zugleich auf die römische Tradition der Vogelflugdeutung an? Dumm gelaufen: Statt Erholung ist Tiefgründeln über den „medienkritischen Ansatz“ angesagt.

Lieber Herr Huemer: „römische Antike“, „neue Medien“, „entmaterialisierte Polkes“, Vögel, Ironie und das alles – schön und gut. Aber denken Sie auch mal darüber nach: Graue Wände in diesen Zeiten – das ist Therapie. Das ist Wellness Art in ihrer schönsten Form, das sollte es auf Rezept geben, das spart langfristig den Augenarzt. Einfach mal nachfragen bei der AOK, vielleicht leben Sie schon bald glücklich und zufrieden von ihren Honoraren als kassenzugelassener Kunstheiler – wär‘ das nichts?HOLGER MÖHLMANN

Markus Huemer: „Neue Talentlosigkeit“. Galerie Michael Janssen, Norbertstr. 14-16, bis 13. März, Di-Fr 10-13 und 15-18 Uhr, Sa 12-15 Uhr

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen