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Tanzt den Kant!

Wer bei „Matrix“ ins Grübeln gekommen ist, dem soll nun der kategorische Imperativ ans Herz gelegt werden („Kant reloaded“, 20.15 Uhr, 3sat)

von ARNO FRANK

Kant ist kantig, den liest man nicht eben so weg. Umso stärker die Bemühungen, Leben und Werk des vor 200 Jahren verstorbenen Philosophen über akademische Zirkel hinaus einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der Spiegel packte das sperrige Thema schon im Januar auf den Titel, und der Kultursender 3sat widmet „der Geburt der Philosophie der Moderne“ gleich eine Schwerpunktwoche. Im Mittelpunkt steht mit „Kant reloaded“ der wohl ehrgeizigste Versuch, die Lehren des Immanuel Kant einem jüngeren Publikum ans Herz zu legen. Und wie könnte das gehen? Mit Pop könnte das gehen, schlimmstenfalls aber auch ganz fürchterlich in die Hose.

„Kant reloaded“ lehnt sich so liebevoll an die Ästhetik des philosophisch glasierten Blockbusters an, dass die Doku glatt als Vorfilm durchgehen könnte. Offenbar müssen „junge Leute“ heute immer irgendwo abgeholt werden, am besten vom Kino – „hinbringen“ braucht man wohl niemanden mehr.

Statt grüner Hieroglyphen dient hier fließende Frakturschrift als ständiger Hintergrund, vor dem Experten über Kant plaudern oder Schauspieler mit verteilten Rollen aus Texten von Freunden und Verwandten vorlesen, unterlegt von sanft abrollenden Elektronikklängen. Ein Sprecher sieht ein wenig aus wie George Clooney, ein anderer erinnert an Steven Segal, während der echte Helge Schneider als Kants Diener Witz in die szenische Lesung bringen soll. Und ein stocksteifer Hanns Zischler, in Szene gesetzt wie der ominöse „Architekt“ der „Matrix“, liest Kants Texte von verschiedenen Apple-Bildschirmen ab.

Am Revers trägt dieser „Kant“, wie ein Fußballtrainer den Namen seines Werbepartners, die zu Slogans verkürzten Kernbegriffe seiner Philosophie: „praktische“ steht da, Schnitt, und „Vernunft“. Das ist alles reich an Referenzen und reichlich verliebt ins Detail, schön und gut.

Dass aber ein akkurater Regisseur wie Theo Roos das Kantsche „sapere aude“ („wage zu wissen“) ernsthaft mit dem prominenten Apple-Slogan „think different!“ übersetzt, wird künftigen Generationen als Denkmal peinlichster Schleichwerbung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Erinnerung bleiben.

Das ist deshalb so ärgerlich, weil „Kant reloaded“ seinem hohen Anspruch ansonsten durchaus gerecht wird. Wo es um seine Gesellschaftsphilosophie geht, wird Kant alias Zischler dem Moderator Gert Scobel als „Interviewpartner“ und hyperschlauer Kommentator der Zeitäufte zugeschaltet. Geht’s um die Parallelen seiner Transzendentalphilosophie mit fernöstlichem Denken, schwenkt die Kamera illustrierend über einen Teller mit Sushi. Lecker, lenkt aber auch ab.

Egal. Denn der Versuch, Kant als „einen gegenwärtigen Denker zu begreifen, dessen Werk sich immer wieder neu lädt und in den kulturellen Denkprozess einspeist“ (3sat), ist ehrenwert und, bis auf den bizarren Apple-Bezug, weitgehend gelungen. Weil gerade die betont verspielte Vermittlung des Themas nicht nur Appetit aufs Lesen macht (und damit ein Abenteuer, spannender als alle drei „Matrix“-Filme zusammen), sondern auch auf das spielerische Element des Denkens überhaupt verweist.

Was das angefixte Kinopublikum in dieser hymnischen Dokumentation allerdings schmerzlich vermissen wird, das ist der Zweikampf zwischen dem Helden und seinem fiesen Gegenspieler Agent Smith. Das hätten wir schon gerne gesehen. In Zeitlupe. Aber auch dahinter verbirgt sich wohl eine verschlüsselte Botschaft: Echte Gegner kennt er heute kaum noch, der kanonisierte Kant.

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