: „Mehr sichere und saubere Schifffahrt“
Paul Nemitz, EU-Generaldirektor für Maritime Angelegenheiten, im taz-Interview über Umweltschutz für Nord- und Ostsee. Trotz Industrialisierung, Überfischung und Todeszonen auf dem Grund sollen beide Meere im Jahr 2020 in gutem Zustand sein
PAUL NEMITZ, 46, SPD, geboren in Bonn, ging in Bremen zur Schule und studierte Jura in Hamburg, London und Washington, D. C.
INTERVIEW SVEN-MICHAEL VEIT
taz: Herr Nemitz, wie will die Europäische Kommission Nord- und Ostsee retten?
Paul Nemitz: Im Juni dieses Jahres ist die Europäische Richtlinie zum Schutz der Meeresumwelt in Kraft getreten. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten verbindlich, Aktionspläne zu erarbeiten, mit denen bis zum Jahre 2020 der gute Zustand der Meere hergestellt wird.
Scheitert das denn nicht an Nutzungskonflikten zwischen den Anrainerstaaten?
Mit der zunehmenden Nutzung des Meeres nimmt das Interesse an Kooperation über die Grenzen hinweg zu. Nutzungskonflikte zum Beispiel zwischen Windparks, Schifffahrt, Fischerei und Küstentourismus können am besten gemeinsam gelöst werden. Wichtig ist eine vorausschauende Flächenplanung auf See, die mit den Nachbarn abgestimmt wird. Wenn es Konflikte gibt, müssen sie vor Ort gelöst werden. Zur Flächenplanung auf See, die in Deutschland ja schon auf dem Wege ist, werden wir nächste Woche ein Grundsatzpapier vorlegen.
Die Ostsee ist seit der EU-Erweiterung zum Binnensee in der Europäischen Union geworden – mit rasant wachsendem Schiffsverkehr, mehr Lärm und mehr Schmutz. Wie ist diese Entwicklung aufzuhalten?
Wir haben in Europa erreicht, dass die Ostsee international als ein besonderes Schutzgebiet anerkannt ist. Deshalb gelten hier besonders strenge Regeln für die Qualität des Treibstoffes der Schiffe. Das reduziert die Verschmutzung. Wir wollen mehr Güter auf dem Schiff und weniger auf der Straße befördern, da die Schifffahrt am umweltfreundlichsten transportiert. Mehr sichere und saubere Schifffahrt ist deshalb für die Zukunft gewollt.
Eine schwedische Studie hat jetzt ergeben, dass ein Fünftel des Ostseebodens bereits biologisch tot ist, ein weiteres Drittel gefährdet. Der Hauptgrund ist aber nicht die Schifffahrt, sondern die Landwirtschaft mit ihrem Dünger.
Das Problem der Überdüngung müssen wir in den Griff bekommen. Alle Mitgliedstaaten müssen die Europäische Phosphatrichtlinie, die strengen Umweltregeln für die Landwirtschaft sowie die Wasserrechtsrahmenrichtlinie voll umsetzen.
Wäre eine deutlich verstärkte Förderung des Ökolandbaus eine Lösung?
Die Landwirtschaft muss hier sicher ihren Beitrag leisten. Aber auch die anderen Wirtschaftssektoren sind gefragt, die Verschmutzung und damit den Eintrag von Schadstoffen vom Land in das Meer zu reduzieren. Sowohl der Eintrag durch das Wasser auch durch die Luft muss geringer werden.
Mit den Todeszonen im Meer verschwindet die Nahrungsgrundlage vieler Fische, zudem stirbt mehr Laich an Sauerstoffmangel. Wann ist die Fischerei in der Ostsee definitiv am Ende?
Das steht nicht auf der Tagesordnung, wenn die Mitgliedstaaten es endlich schaffen, den Bestand nachhaltig zu bewirtschaften. Die Empfehlungen der Wissenschaft sind klar, die Mitgliedstaaten müssen sie nur befolgen, so wie es die EU-Kommission regelmäßig vorschlägt. Und sie müssen die einmal getroffenen Regeln konsequenter umsetzen.
Die Fangquoten, auch wenn sie für das Jahr 2009 bei Hering und Kabeljau leicht gesenkt wurden, sind aber nichtsdestotrotz weiterhin unverantwortlich hoch.
Die Verantwortung für die Fangquoten tragen die Mitgliedstaaten, die darüber im Rat entscheiden. Die Kommission schlägt regelmäßig geringere Fanquoten vor, so, wie von der Wissenschaft empfohlen. Die Mitgliedstaaten entscheiden sich regelmäßig für höhere Quoten. Das muss aufhören, weil es den Fischbestand gefährdet und damit langfristig den Fischern die wirtschaftliche Grundlage entzieht. Es gibt allerdings nicht nur schlechte Nachrichten: Für Teile des Kabeljaubestandes in der Ostsee hatte sogar die Wissenschaft eine Erhöhung vorgeschlagen, hinter der Kommission und Rat aber zurückgeblieben sind.
Der Nordsee geht es etwas besser als der Ostsee, aber noch lange nicht gut. Gibt es in der EU-Kommission Szenarien, wann die Schmerzgrenze für die Nordsee erreicht ist?
Das Problem für die Umwelt ist derzeit eher, dass zu wenig in erneuerbare Energie aus dem Meer investiert wird. Wir haben gerade vorige Woche eine Strategie zur Entwicklung der Offshore-Energieproduktion vorgelegt. Es besteht die Sorge, dass wegen Finanzkrise und gesunkener Energiepreise wichtige Offshore-Projekte verschoben werden. Die Europäische Kommission berichtet im Übrigen regelmäßig über die Biodiversität der Nordsee. Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Aktionspläne zu erarbeiten, um den Zustand der Nordsee zu verbessern.
Wie sehen Nord- und Ostsee in zehn Jahren aus?
Dann werden wir in Europa mehr erneuerbare Energie auf dem Meer produzieren, wir werden mit der Schifffahrt mehr Güter auf sicherere und sauberere Weise transportieren als heute. Wir werden mehr in den Küstenschutz investieren und Europa auch anderweitig dem Klimawandel anpassen. Im Jahr 2018 müsste aber auch deutlich absehbar sein, dass der gute Zustand der Meere im Jahr 2020 erreicht werden wird. Dann haben beide Meere eine in jedem Sinne nachhaltige Zukunft.
„Umweltschutzaspekte der europäischen Meerespolitik“: Podiumsdiskussion mit Paul Nemitz, Hans-Heinrich Nöll, Verband deutscher Reeder, und Manuel Sarrazin, grüner Bundestagsabgeordneter: heute, 19 Uhr, Handelskammer Hamburg, Adolphsplatz 1
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