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Riesige Dame

Die junge Regisseurin Maya Fanke zeigt Euripides‘ „Der Zyklop“ in Bremerhaven als hintergründiges Spektakel

Sie sind wilde, gesetzlose Riesen, die vom Fleisch ihrer Herden leben und auch Menschenfleisch als besondere Köstlichkeit nicht verachten. So erzählt Homer im 9. Gesang der „Odyssee“ von dem Geschlecht der Zyklopen auf Sizilien und von einem unter ihnen, Polyphem, den Odysseus aufsucht, um für sich und seine Leute Verpflegung zu stehlen.

„Der Zyklop“ von Euripides ist das einzig vollständig erhaltene Satyrspiel des antiken griechischen Dramas. Im Kleinen Haus des Bremerhavener Stadttheaters zeigt ihn die junge Gastregisseurin Maya Fanke als gewitztes, kräftiges Spektakel, das bei aller Lautstärke niemals in Klamauk umkippt, sondern mit hoher Präzision Slapstick und Spielfreude verbindet.

Da tritt der griechische Chor als Oberlehrer mit Zeigestock auf, um einen Diavortrag über griechische Mythologie zu halten. Da wird in einem engen schwarzen Vorhof zur nicht sichtbaren Höhle agiert, mit halbhohen Wänden, an denen herumgeklettert werden kann.

Der Zyklop – das ist die Überraschung des Abends – ist eine alte Frau. Christine Dorner zeigt den Zyklop als traurigen Clown, der seine Zeit längst hinter sich hat. Mit affenartigen Gesichtzügen, mit dünnen Ärmchen und mit einem langen Rock aus bunten Lumpen wirkt er/sie Mitleid erregend komisch.

Zwar kann er noch den alten Satyr, seinen Diener Silen und dessen feigen Sohn erschrecken, aber der Fremde aus Griechenland fürchtet sich nicht: Odysseus (Frerk Brockmeyer) ist ein selbstgefälliger Siegertyp in Anzug und Ledermantel, dem der Tod seiner Leute kein Achselzucken wert ist.

Wirklich gefährlich wirkt die Situation erst dort, wo die drei Männer die Barbarin einkreisen, den Weinbeutel über ihren Kopf fliegen lassen und mit wildem Klatschen im Parkett ein riesiges Geheul anstimmen: Im aggressiven Kinderspiel äußerst sich der mörderische Geist einer neuen Zeit, der die naive Zyklopen-Dame nicht gewachsen ist.

Maya Fanke lässt mit Tempo und in hochstilisierten Gesten spielen. Ihr „Zyklop“ ist ein gelungener Spaß, der einen Stachel enthält, so leise platziert, dass man ihn nicht wahrhaben muss. Ein Theaterabend, der mit einem Zeigestock beginnt, um am Ende seine Botschaft gut zu verstecken. Hans Happel

nächste Vorstellungen: 18. und 29.2.

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