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Mit letalen Folgen

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit: Kai Wessel inszeniert Martha Jellneck in den Kammperspielen, kann sich aber nicht zwischen den Erzählsträngen entscheiden. Bleibt eine großartige Barbara Nüsse in der Hauptrolle

Vergilbte Wände, hängende Zimmerpflanzen und ein spießig-brauner Teekessel auf dem Herd: Jede Pore in der Wohnung der alten Martha Jellneck (Barbara Nüsse) atmet in dem Bühnenbild der Kammerspiele eine verstaubte Langeweile und Trostlosigkeit aus. Das Licht blendet in schneller Folge auf und ab, man sieht, hier reiht sich ein Tag ereignislos an den nächsten. Bis es plötzlich Mittwoch ist.

Zivi Thomas (Markus Mössmer) kommt mit dem Essen auf Rädern und dreht sich bei einem Kaffeeplausch eine Zigarette. Martha Jellneck, in mauvefarbenen Stützstrümpfen gegen die Arthrose, und Hund Afra freuen sich über die Ablenkung, als die eigentliche Geschichte beginnt. Im Werbeprospekt des Menüdienstes steht ein Name, der mit dem des im Krieg gefallenen Bruders von Martha identisch ist. Auch das Geburtsdatum stimmt überein, lediglich das Aussehen will nicht auf den Bruder passen.

Nachbarin Hanne (Anneke-Kim Sarnau) kommt, in pinken Pumps und Leggings aus den 80ern, um Martha Jellneck wie jeden Tag zu helfen. Sie hat schließlich die entscheidende Idee. Nicht der Bruder verbirgt sich hinter dem Namen, sondern ein Kriegsverbrecher. Es handelt sich um den dreisten Rollentausch eines SS-Führers, der versucht hat, seine Weste reinzuwaschen. Daraufhin bittet Martha den Herrn (Rolf Becker) zum Kaffee – eine Begegnung mit letalen Folgen.

Die erste Theaterarbeit von Kai Wessel, der eigentlich vom Film kommt, setzt vor allem auf eines: die Zeit. So wird die Langeweile im Alter und die Mühsal der Bewegungen in seiner Inszenierung unmittelbar greifbar. Doch bleibt in der Bühnenfassung von Beate Langmaacks erfolgreichem Filmstoff lange Zeit unklar, welcher Erzählstrang eigentlich hauptsächlich verfolgt wird. So läßt sich der Eindruck nicht abschütteln, dass einiges dramaturgisch nicht auf den Punkt gebracht ist. Geht es um Schuld und Vergeltung, oder geht es um Alter und Vereinsamung und die Begegnung zwischen den Generationen? Keiner dieser Stränge wird wirklich ausgearbeitet.

Getragen wird die Inszenierung jedoch durch Barbara Nüsse, die einen Typus verkörpert, den wir wohl alle kennen: die alte, liebenswürdige Frau von nebenan, die mit den Geschichten der Vergangenheit kämpft – Geschichten, die oft mehr in unsere Gegenwart hereinragen, als uns klar ist. Stefanie Maeck

25.-28.2., 3.-6.3., 20 Uhr, Kammerspiele

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