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Auf die Betonung kommt es an

Die chinesische Sprache ist gar nicht so vertrackt, wie man gemeinhin denkt. Manchmal aber doch …

Chinesisch ist keine schwere Sprache. Es verfügt nur über eine rudimentäre Grammatik und wird weder dekliniert noch konjugiert. Unterschiedliche Zeiten gibt es praktisch auch nicht. Auch die Aussprache ist keine unüberwindliche Klippe. Zwar ist es richtig, dass die Betonung und die Tonhöhe im Chinesischen eine wichtige Rolle spielen, allein weil es eine Vielzahl Homonyme gibt. Das wird oft am Ma-Beispiel demonstriert. Da liest man dann, dass „Ma ma ma ma ma?“ so viel wie „Schimpft die pockennarbige Mutter das Pferd?“ bedeutet. Die unterschiedlichen „Ma“ werden dabei jeweils anders betont, damit das Pferd eben nicht die Mutter ist.

Man könnte aber mit „Ma“ noch viel mehr lustige Sätze bauen, denn dieses Wort hat allein zwanzig verschiedene Bedeutungen, darunter „Mammut“, „Kröte“, „Achat“, „Ameise“ und „Hanf“. Nimmt man das Wort „Li“, kann man sogar unter mehr als hundert verschiedenen Übersetzungen wählen, unter anderem „Witwe“, „Schweinestall“, „Pflug“, „Brautschleier“ oder „Aal“. Aber auch solche Homonymgewitter lesen sich abschreckender als sie in der Sprachpraxis sind.

Ich zum Beispiel kann mir keine Betonungsregeln merken und rede einfach drauf los. Natürlich versuche ich dabei die Betonung der Einheimischen nachzuahmen, und das geht erstaunlich oft gut. Wenn es nicht klappt, ist es auch keine Tragödie. Ist mein Gegenüber nicht auf den Kopf gefallen, wird er schon aufgrund des Kontexts verstehen, was ich von ihm will.

Mehr geflötet und gezwitschert

Außerdem sind die insgesamt vier Töne, die es im Hochchinesischen gibt, keine große Herausforderung. Im Kantonesischen – das man in einigen Gegenden Südchinas und in Hongkong spricht – gibt es neun Töne, wobei es hier auch noch auf die Tonlänge ankommt. Die hochchinesisch Sprechenden nennen diese Abart des Chinesischen „Vogelsprache“, weil sie mehr geflötet und gezwitschert wird. Das Hochchinesische seinerseits heißt übrigens auch nur in einigen europäischen Sprachen „Mandarin“. Auf Hochchinesisch sagt man „Putonghua“, Normal- oder Standardsprache, die weitgehend mit dem in Peking gesprochenen Dialekt identisch ist.

Die Schriftzeichen sind es allerdings, die aus dem Chinesischen dann doch eine schwere Sprache machen. Das Kangxi-Wörterbuch von 1716 verzeichnet genau 46.964 Zeichen, moderne Quellen gehen sogar von insgesamt rund 80.000 Zeichen aus. Allgemein wird zwar behauptet, man käme mit nur 3.500 Zeichen aus, um eine Zeitung zu lesen. Aber selbst wenn ich ein Zeichen pro Tag behielte, bräuchte ich rund zehn Jahre, um diese 3.500 Zeichen im Kopf zu speichern.

Dass das Schriftzeichensystem ineffektiv, unvernünftig und vorsintflutlich ist, wissen natürlich auch viele Chinesen. Deshalb gab es auch in den letzten hundert Jahren immer wieder Versuche, die Zeichen abzuschaffen und sie durch ein phonetisches Alphabet zu ersetzen.

Führend dabei waren die revolutionäre „4.-Mai-Bewegung“ von 1919 und der berühmte Schriftsteller Lu Xun, der erklärte: „Wenn die Zeichen nicht abgeschafft werden, wird China untergehen.“ Der Letzte, der versuchte, die Zeichen durch ein Alphabet zu ersetzen, war Mao Zedong. Aber auch der große Vorsitzende scheiterte an der Vielzahl von Problemen, die eine Umstellung mit sich bringen würde. Um ein phonetisches Alphabet durchzusetzen, müsste man sich zuerst auf eine verbindliche Aussprache einigen.

Doch schon die „Konferenz zur Vereinheitlichung der Aussprache“ 1913 in Peking scheiterte, weil sich ein Vertreter der Nordchinesen tödlich beleidigt sah. Ein Südchinese hatte im Shanghaier Dialekt von einer „Rikscha“ gesprochen, der Nordchinese aber „Schildkrötenei“ verstanden – ein übles Schimpfwort, das er auf sich bezog. Er konnte zwar noch von einer Prügelei abgehalten werden, verließ aber stante pede die Konferenz.

Einigen Reformern war damals bereits klar, dass sich Nord- und Südchinesen niemals auf eine einheitliche Aussprache einigen würden. Sie schlugen deshalb vor, das Chinesische gleich ganz abzuschaffen und es durch Esperanto zu ersetzen. Eine exzellente Idee, der leider niemand folgen wollte. Immerhin wurde aber 1956 eine verbindliche phonetische Umschrift auf Basis des lateinischen Alphabets für das Hochchinesische eingeführt, das sogenannte Pinyin. Das ist auch für Anfänger gut zu gebrauchen – allein schon um zu wissen, wie Namen ausgesprochen werden.

CHRISTIAN Y. SCHMIDT

Der Autor hat u. a. den amüsanten Reisebericht „Allein unter 1,3 Milliarden“ veröffentlicht. Rowohlt Berlin, 19,90 €

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