piwik no script img

Verliererinnen sehen anders aus

Cornelia Reinauer wollte einen andern 1. Mai als sonst. Feiern statt randalieren, lautete die Idee von „MyFest“. Bis zum Abend ging es gut. Doch dann kam es doch anders. Die Kreuzberger Bürgermeisterin zwischen Mariannenplatz und Skalitzer Straße

„Es ist uns gelungen, die Anwohner zu stärken“„Das liebe ich an Kreuzberg: Hier brennt es, dort wird gefeiert“

begleitete PLUTONIA PLARRE

Verliererinnen sehen anders aus. Schnellen Schritts marschiert Cornelia Reinauer durch die Oranienstraße. Ihre Wangen glühen, die Augen hinter der Hornbrille funkeln voller Tatendrang. Dabei ist es weit nach Mitternacht, und die 1.-Mai-Schlacht in Kreuzberg, die auch eine Schlacht von Reinauer war, ist längst geschlagen.

Am darauf folgenden Tag wird es Leute geben, die der PDS-Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg vorwerfen, sie habe sich zu weit aus dem Fenster gelehnt; das Konzept Straßenfest statt Straßenschlacht sei nach hinten losgegangen. Wieder einmal hat es Randale gegeben, haben Autos gebrannt, sind Scheiben zu Bruch gegangen. Für Reinauer aber zählt am Ende dieses 1. Mai etwas anderes: „Es ist uns gelungen, die Anwohner zu stärken und ihnen den öffentlichen Raum zum Feiern zurückzugeben.“ Das sagt sie, bevor sie die Nacht mit ihren engsten Mitarbeitern bei Reggaerhythmen ausklingen lässt.

Es hat Momente gegeben an diesem Tag, da war Reinauer vor Enttäuschung den Tränen nahe. Die 50-jährige gebürtige Schwäbin mit den blonden, kurzen Haaren und dem energischen Kinn hat viel investiert. Zusammen mit einer Initiative von Geschäftsleuten und Anwohnern der Oranienstraße hat das Bezirksamt ein gigantisches Kulturprogramm organisiert. Bis zum frühen Abend sieht alles gut aus. Der Kiez ist so voll von feiernden Menschen wie schon lange nicht mehr. Auch die Demonstrationen verlaufen friedlich.

Dass Reinauer trotzdem aufgeregt ist, als sie kurz vor acht mit ihren BezirksamtskollegInnen im „Kafka“ sitzt, hat einen anderen Grund. In einer halben Stunde wird sie den türkischen Rockmusiker Haluk Levent begrüßen. Der eingeflogene Star aus Istanbul ist die Attraktion des Abends. Wenn es dunkel wird, soll er mit seiner Band auf der großen Bühne am Mariannenplatz auftreten. Vielleicht, so Reinauers Hoffnung, fühlen sich auch die erlebnishungrigen türkischen Kids angesprochen. Vor wenigen Minuten hat Levent dem türkischen Fernsehen ein Live-Interview gegeben und die Zuschauer aufgefordert, zu seinem Konzert zu kommen.

Haluk für den 1. Mai zu engagieren war Reinauers Idee. Sie hat sich erst kürzlich seine neue CD gekauft, in ihrem früheren Job als Leiterin der Jugendbibliothek in der Glogauer Straße hat sie die türkische Kultur kennen und lieben gelernt. Sie spricht sogar ein bisschen Türkisch, seit sie drei Monate in Istanbul war.

Bewaffnet mit einer kleinen schwarzen Handtasche, einer Spiegelreflexkamera und zwei Handys, ist die Bezirksbürgermeisterin seit zehn Stunden auf den Beinen. Das erste Foto hat sie am Morgen auf der DGB-Demonstration geschossen. „Ich glaub, ich hab ein ganz gutes Gespür für Motive“, sagt sie.

Im „Kafka“ springt sie plötzlich vom Biertisch auf und nimmt zwei Punks mit steil nach oben frisierten Irokesenstacheln ins Visier. „Ich frage mich, wie diese Menschen schlafen.“ Es ist das Markenzeichen von Reinauer, dass sie sich gibt und redet, wie sie ist: natürlich.

Die schlechten Nachrichten kommen scheibchenweise. Gegen 20 Uhr werden aus der Skalitzer Straße Steinwürfe gemeldet. Als sich Reinauer auf den Weg zum Mariannenplatz macht, steigt am Kottbusser Tor eine schwarze Rauchsäule in den Himmel. Die ersten Autos brennen. „Scheiße, jetzt fängt’s an“, schimpft sie. Spätestens jetzt weiß sie, dass der 1. Mai doch einen andern Verlauf nimmt als gewünscht.

Und sie ahnt, dass es eng wird mit dem Konzert des türkischen Popstars. Während sie sich den Weg durch die Menge bahnt, dirigiert sie die drei Taxen, in denen Haluk Levent und seine Band sitzen, über Handy zum Bethaniendamm, der rückwärtigen Seite des Mariannenplatzes. Dort wartet sie am Straßenrand, umgeben von einer Gruppe aufgeregt schnatternder junger türkischer Männer, die bei dem Konzert als Security fungieren sollen. Mit einem Mal fahren mindestens 20 Polizeifahrzeuge vor, Beamte mit Helmen und Schildern stürmen heraus. Über Handy erfährt Reinauer, dass Levents Konvoi an einer Straßensperre von der Polizei am Durchfahren gehindert wird. Nach einem Telefonat mit dem Einsatzleiter ist klar: Die Polizei hat Phase zwei eingeleitet: die Straßenschlacht ist voll entbrannt, alle Plätze werden geräumt.

„Geht es nicht einmal anders?“ Die Enttäuschung ist Reinauer ins Gesicht geschrieben. Einen Moment lang wendet sie sich ab, dann macht sie auf dem Absatz kehrt. Sie geht zur Bühne, um Haluks Fans, die sich schon zu Hunderten versammelt haben, die Hiobsbotschaft zu überbringen. „Haluk war auf dem Weg hierher, aber er kann nicht auftreten, wenn ein paar Meter weiter die Molotowcocktails fliegen“, ruft sie durchs Mikrofon. Das Publikum ist stinksauer. Es gibt Buhrufe und Pfiffe.

Noch aber hat Reinauer die Hoffnung nicht aufgegeben. Über Handy erfährt sie, dass in der Oranienstraße nach wie vor friedlich gefeiert wird. Auch die Bühnen sind noch in Betrieb. Um dort hinzukommen, heißt es, drei Polizeiketten zu nehmen, die einen festen Ring um den nördlichen Teil des Kiezes gezogen haben. „Ich bin die Bürgermeisterin von Kreuzberg“, ruft sie einem Beamten mit heruntergelassenem Visier zu, während sie aus ihrem schwarzen Täschchen ihren Dienstausweis nestelt. Die gelbe Karte sieht wie ein selbst gemachter Schülerausweis aus. „Der Bezirk hat kein Geld“, entschuldigt sie sich, derweil der Beamte im Dunkeln die Schrift zu entziffern sucht.

Um 21.40 Uhr endlich in der Oranienstraße angekommen, empfängt sie eine vollkommen andere Welt. Musik, Schwoof, Trank und Ausgelassenheit auf und vor den Bühnen. Als sich Reinauer durch die Menge zu schieben versucht, wird sie von zwei kräftigen Armen umfasst und im Kreis herumgewirbelt. Die Bürgermeisterin, die den Mann noch nie zuvor gesehen hat, gibt sich der Situation hin. Zwei, drei, vier Tanzschritte lang. Dann macht sie sich lachend frei und drängt weiter. „Genau das ist es, was ich an Kreuzberg so liebe. Auf der einen Seite brennt es, auf der anderen behalten die Leute die Ruhe und feiern.“

Ein paar Meter weiter läuft sie dem Geschäftsführer des Türkischen Bundes, Kenan Kolat, in die Arme. Die beiden beraten hektisch, wo Haluk noch auftreten könnte. Die Bühne am Kottbusser Tor ist abgebrannt, auf dem Oranienplatz wird Punk und Rockmusik gespielt, ein türkisches Publikum gibt es dort nicht mehr. Reinauer und Kolat bleibt nichts anderes mehr übrig, als Haluk zu einem Auftritt im Frühsommer in Berlin zu überreden.

Gesagt, getan. Mit dem Taxi geht es ins „Divan’a“, wenigstens ein kleiner Auftritt muss sein. Die rund 100 Gäste, die die Tische füllen, wurden eilig herbeitelefoniert. Der 35-jährige Haluk – volle Lippen, dunkler Teint – lässt sich nicht lange bitten. Begleitet von seinem Gitarristen gibt er einige seiner Herz- und Schmerzlieder zum Besten. Das in dezentem Schick gekleidete Publikum dankt es mit großem Applaus.

„Der erste Song ist für die Bürgermeisterin“, sagt Haluk, als er die Bühne betritt. Reinauer ist sichtlich gerührt. Dann fällt ihr ein, das sie ja ihren Fotoapparat dabei hat.

Kurz vor Mitternacht geht auch Reinauers Einsatz dem Ende zu. In der Direktion 5 in der Friesenstraße trifft sie Michael Dörr. Dem Direktionsleiter und seinen Leuten ist die Anspannung deutlich anzumerken. Auch wenn der Tag nicht so gelaufen ist, wie sie es alle gewünscht haben, auf Reinauer und ihre Kulturinitiative lassen die Herren nichts kommen: Immerhin habe das Fest in der Oranienstraße bewirkt, dass dort erstmals seit vielen Jahren keine Randale stattgefunden habe. „Nicht unterkriegen lassen. Die beste Voraussetzung zum Erfolg ist der Misserfolg“, sprechen die Polizeiführer der Bürgermeisterin Mut zu.

Aber die sieht überhaupt nicht so aus, als müsse sie getröstet werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen