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„Gezielt auf den Arm genommen“

Immer mehr „Offene Ganztagsgrundschulen“ sollen in Köln die Horte ersetzen. Das spart der Stadt viel Geld, aber die Qualität der Kinderbetreuung sinkt. Schwarz-Grün gibt dem Land die Schuld

Von Jeanette Seiffert

Vor dem braunen Backsteingebäude des Jugendzentrums „Offene Tür St. Anna“ spielt etwa ein Dutzend Kinder Fangen. Drinnen sind einige in ihre Hausaufgaben vertieft, im Raum daneben wird gekickert: Etwa fünfzig Schüler der 100 Meter entfernten Katholischen Grundschule Overbeckstraße teilen sich hier am Nachmittag mehrere Räume auf zwei Etagen mit älteren Schülern und Jugendlichen, darunter einen Computer- und einen Gymnastikraum.

Für die Rektorin, Elisabeth Kossmann, war die Kooperation mit St. Anna ein absoluter Glücksfall: „In anderen Schulen muss der hinterste Kellerraum für die Nachmittagsbetreuung herhalten.“ Ihre Schule hat sich im vorigen Jahr als eine von fünf Schulen auf das Abenteuer eingelassen, „Offenene Ganztagsgrundschule“ zu werden. Der Impuls dafür ging von den Eltern aus: „Immer mehr wollten einen Platz in unserer Übermittagsbetreuung, die Eltern standen geradezu Schlange. Wir mussten eine andere Lösung finden.“

Dass es dabei vor allem um Betreuung und kaum um Bildung geht, weiß sie. „Da steht mehr Schule drauf, als drin ist.“ Diese Kritik teilen viele in Köln. „Wir werden gezielt auf den Arm genommen“, meint etwa Josef Bünger, Vorsitzender der Schulpflegschaft der Kölner Grundschulen. Ihn ärgert, dass die „Offene Ganztagsgrundschule“ als Antwort auf „Pisa“ verkauft wird. „In Wahrheit geht es doch vor allem darum, Geld einzusparen – denn Hortplätze kosten wesentlich mehr.“ Dass die in Köln ohnehin ein Auslaufmodell sind, ist mittlerweile klar. Während das Land die Horte noch bis 2007 bezuschussen will, steigt die Stadt schon im kommenden Jahr aus der Hortfinanzierung aus. Karin Wiesemann, schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, kritisiert vor allem, dass das Geld, das bei den Horten eingespart wird, nicht in die Ganztagsgrundschulen fließt: „Der Kämmerer scheint die Kinderbetreuung als Sparschwein entdeckt zu haben“, meint sie.

Dennoch will die SPD noch viel mehr Ganztagsschulen schaffen. 390 Gruppen für 10.000 Kinder schweben Wiesemann für das Jahr 2007 vor. Im kommenden Schuljahr werden es erst mal rund 30 zusätzliche Schulen sein, die für einen Teil der Schüler auch nachmittags geöffnet sind. Bedarf ist auf jeden Fall vorhanden. Laut Bezirksregierung wollen immer mehr Eltern einen Ganztagesplatz, an einigen Schule existieren bereits lange Wartelisten. Doch die wenigen Ganztagsgrundschulen, die es bis jetzt gibt, klagen schon jetzt über zu wenig Geld. Auch Elisabeth Kossmann sieht das Ganze eher als Sparmodell. „Das, was wir hier leisten, ist nur möglich, weil unser Träger Einiges zuschießt. Das lässt sich auf Dauer nicht durchhalten.“ Die Kirchengemeinde St. Anna finanziert eine zusätzliche Sozialarbeiterin sowie die Betriebskosten und stellt das nötige Material zur Verfügung.

Zu geringe finanzielle Ausstattung, zu wenig Qualität – in diese Klage stimmen prinzipiell auch CDU und Grüne ein. „Ich kenne keine Stadt, in der den Ganztagsgrundschulen so wenig Mittel zu Verfügung gestellt werden wie hier in Köln“, meint Angelika Winkin, schulpolitische Sprecherin der Grünen. Das müsse sich ändern.

Im Moment sieht das aber nicht so aus. Im Gegenteil, es wird auch an anderer Stelle gespart: Ab nächstem Schuljahr gibt es für die Nachmittagsbetreuung der 10-14jährigen keine städtischen Mittel mehr. „Das Land hat die Prioriät auf die Grundschule gesetzt, dem können wir uns nicht entziehen. Man kann jeden Euro eben nur einmal ausgeben“, rechtfertigt sich Winkins Kollege von der CDU, Jürgen Hollstein. Die Frage, ob denn die eingesparten Mittel auch tatsächlich der Ganztagsgrundschule zugute kommen, kann er allerdings nicht mit Sicherheit beantworten. „Man muss in einigen Wochen sehen, wohin die Gelder fließen.“

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