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berliner szenen Zappen zwecklos

Quotenkiller

„Du hast die Macht!“ Mit diesen Worten wurde in alten WG-Tagen die Fernbedienung weitergegeben. Der dezente Hinweis auf die Verantwortung, die mit der Macht einhergeht, war natürlich zwecklos. Wir waren berüchtigt für das Anzappen der abseitigsten und langweiligsten Programme, die die Satellitenschüssel hergab. Dem Reiz des Quotenkillers kann ich mich seitdem auch beim Radiohören nicht entziehen. Neulich geriet ich in die Liveübertragung eines fortschrittlichen evangelischen Gottesdienstes im Deutschlandfunk. Während ich am Frühstückstisch beim Kaffee saß, zelebrierte man in den Suburbs von Hamburg gerade das Abendmahl: „Und er brach das Brot und teilte es mit seinen Jüngerinnen und Jüngern.“ Die Pastorin wandte sich dann an die Hörer: „Tja, wenn Sie gerade ein Brötchen und vielleicht noch eine angebrochene Flasche Wein griffbereit haben, können Sie ja mitmachen!“

Gute Idee dachte ich mir, der Türkentrank allein macht ja nur blass und krank, und ein Korkenzieher liegt immer griffbereit. Dabei musste ich dann an Georgie denken. Der trinkt keinen einzigen Tropfen Alkohol mehr, seit er an seinem vierzigsten Geburtstag zum christlichen Glauben gefunden hat. Spaß versteht er auch nicht mehr. Stattdessen trägt er dicke Navy-Daunenjacken, hockt mit seinen Kumpels in unterirdischen Bunkern und bekehrt die Heidenvölker mit Cruise-Missiles. Was mich aber wirklich stört: Wegen Georgie laufen im Fernsehen jetzt überberall dieselben Sondersendungen und Fernsehpredigten – zappen ist zwecklos. Wenn Quotenkiller die Welt regieren, macht es keinen Spaß mehr, die Macht über die Fernbedienung zu haben. Aber gut, dann werde ich halt jetzt Radiotrinker.

ANSGAR WARNER

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