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Lulas Sparkurs unter Beschuss

Brasiliens neue Linksregierung fährt eine liberale Wirtschaftspolitik und dämpft die hohen Erwartungen an Präsident Lula. Finanzmärkte und US-Regierung freuen sich, aber die eigene Partei murrt. Sie sieht die Erfüllung ihrer Wahlziele schwinden

aus Porto Alegre GERHARD DILGER

Das Unbehagen über die Sparpolitik der neuen brasilianischen Regierung wächst. Zwar vertrauen Umfragen zufolge drei Viertel aller Brasilianer Präsident Luis Ignácio Lula da Silva, die Hälfte gibt seinem Regierungsteam gute Noten. Doch in Lulas Arbeiterpartei PT murren längst nicht mehr nur die Linken.

Stein des Anstoßes sind die makroökonomischen Vorgaben, die Finanzminister Antonio Palocci mit Billigung Lulas umsetzt. Um den Schuldendienst zu gewährleisten, ging Palocci über die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) hinaus und kürzte die staatlichen Investitionen für 2003 um weitere vier Milliarden Euro. Um Auslandskapital anzulocken, wurden die Leitzinsen heraufgesetzt. Die Landeswährung Real steigt, das „Länderrisiko“ sinkt.

IWF und USA John Snow sind begeistert, und Lula selbst wertet das neu erworbene Vertrauen der Finanzmärkte als bisher größten Sieg. Doch wegen der Hochzinspolitik, die Lula im Wahlkampf noch gegeißelt hatte, kommt die einheimische Produktion bisher nicht in Gang. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Reallöhne sinken. Selbst die Erhöhung des Mindestlohns auf umgerechnet 70 Euro im Monat machte die Kaufkraftverluste des letzten Jahres nicht wett. Aufgrund von Etatkürzungen fehlt das Geld für Sozialreformen.

So sollten bis zum Jahresende 60.000 Landlosenfamilien angesiedelt werden. Doch die Haushaltsmittel für die Entschädigungszahlungen an Großgrundbesitzer reichen nicht einmal, um halb so viel Land umzuverteilen, wie erforderlich ist. Lula wiegelt ab: Auf die „Qualität“ der Agrarreform komme es an.

Ähnlich dämpft er die Erwartungen im Bildungsbereich: Die rund 20 Millionen Analphabeten sollten bis 2006 Lesen und Schreiben lernen, hieß es bisher. Fünf Millionen wären schon ein „außerordentlicher Sieg“, sagt Lula jetzt. Auch das Antihungerprogramm „Fome Zero“, mit dem er allen BrasilianerInnen wenigstens drei Mahlzeiten am Tag garantieren will, ist nur schleppend angelaufen.

In seinem jüngsten Grundsatzdokument macht Finanzminister Palocci klar, dass der Sparkurs eine Konstante der gesamten Amtszeit Lulas werden könnte. „Unterwerfung“ gegenüber dem IWF wirft ihm der profilierte Parteilinke Raul Pont vor. Die von Paloccis Beratern propagierte sozialpolitische „Fokussierung“ stamme ebenfalls aus dem neoliberalen Rezeptbuch, schimpft Lula-Beraterin Maria da Conceição Tavares: Wie in Chile und Argentinien drohe nun auch für Brasilien der Abschied vom Anspruch auf ein flächendeckendes Bildungs-, Gesundheits- und Rentensystem.

Als „große Neuigkeit“ lobt hingegen der Politikwissenschaftler Luis Werneck Vianna Lulas Versuch, „gemeinsam mit der Gesellschaft“ nach Lösungen für die „strukturellen Herausforderungen“ Brasiliens zu suchen, anstatt autoritär Vorgaben zu machen. So wird die geplante Renten- und Steuerreform in einem 82-köpfigen „Rat für wirtschaftliche und soziale Entwicklung“ diskutiert, in dem ein breites Spektrum von Unternehmern bis Basisaktivisten vertreten ist. Für den zuständigen Minister Tarso Genro, einen der PT-Vordenker, ist der Rat eine „gewagte Initiative, durch die der Gesellschaft ein Fenster geöffnet und die demokratische Verhandlung neu erfunden“ werde.

Skeptiker wie der Politökonom José Luís Fiori sehen sich da eher an die Politik der spanischen Sozialisten in den Achtzigerjahren erinnert: Dort verschwand der angekündigte „Sozialpakt“ in der Versenkung, und statt Keynesianismus gab es Neoliberalismus pur.

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