piwik no script img

Sträuße, Stress und Wechselstimmung

Die Bremer SPD beginnt sich zu erneuern: Mit zwei Dritteln aller Stimmen wurde am Samstag Carmen Emigholz zur neuen Vorsitzenden des Unterbezirks Bremen-Stadt gewählt. Kontrahent Wolfgang Grotheer blieb gegen ihre Vorstellung blass

Bremen taz ■ Den Blumenstrauß nahm Carmen Emigholz mit sichtlicher Zurückhaltung. Den Händedruck auch, und umarmen lassen wollte sich die neue Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Bremen-Stadt von ihrem Vorgänger und Kontrahenten Wolfgang Grotheer nach dessen Niederlage gleich gar nicht. Auch wenn die Tendenz zu einem Wechsel an der Spitze des mit rund 4.000 Mitgliedern stärksten der drei Bremer Unterbezirke sich in den vergangenen Wochen zunehmend herauskristallisiert hatte, schienen beim Parteitag am Samstag die Kandidaten ziemlich angespannt.

124 von 191 Delegierten und damit fast zwei Drittel stimmten für Carmen Emigholz. Der seit zehn Jahren amtierende Wolfgang Grotheer konnte nur 64 Stimmen auf sich vereinen.

Trotz gestresster Kandidaten war die Wechselstimmung des Parteitags von Beginn an zu spüren – gerade, weil die Delegierten so unaufgeregt waren. Und nicht aufhörten zu tuscheln, zu quatschen, einander zu begrüßen, als ihr Noch-Vorsitzender ans Mikro trat. Das war bei den Genossen zwar noch nie anders, aber spätestens als der Lärmpegel nicht sinken wollte und erst das Präsidium um Ruhe bitten musste, als Grotheer seinen Rechenschaftsbericht gab – spätestens da war die Richtung klar.

Als dann Rolf Prigge, Vorsitzender des Ortsvereins Peterswerder noch vor Beginn der Kandidatenvorstellung eine „krisenmäßige Situation, wie sie die Partei seit Jahrzehnten nicht erlebt hat“ konstatierte und forderte, der Unterbezirk müsse „seine politische Ernsthaftigkeit unter Beweis stellen“, da war die Schlacht geschlagen, bevor die Debatte überhaupt eröffnet war.

Prigge traf den Nerv der Basis. „Wir brauchen so etwas wie eine Eigenständigkeit, ein eigenes Leben der Partei“, forderte er. Dasselbe erklärte später Mario Käse. Beschlüsse der Basis würden vom Vorstand lediglich weitergereicht, mehr nicht. Und Wolfgang Grotheer wurde von Käse direkt gefragt: „Was hast Du getan, um unsere Bundestagsabgeordneten in die Richtung zu beeinflussen, die der Parteitag beschlossen hat?“ Derzeit hätten die Beschlüsse der Basis „eine gewisse Beliebigkeit“, klagte Käse: „Das macht das Parteileben tot.“

Grotheer selbst und sein einziger Fürsprecher, der Vorsitzende seines Schwachhauser Ortsvereins Helmut Hadré, blieben vor diesen Angriffen blass. „Vehement“ habe er sich für die Umsetzung von Parteitagsbeschlüssen eingesetzt, verteidigte sich Grotheer: „Ich habe mich geradlinig verhalten.“ Ein „zuverlässiger Mitstreiter“ sei Grotheer, so Helmut Hadré, ein politischer Kopf, der dem Senat Paroli biete.

Wie wenig Grotheer seiner Kontrahentin und seiner offenkundig strategisch vorbereiteten Demontage entgegenzusetzen hatte, zeigte sein Exkurs gleich zu Beginn seiner Eigendarstellung: Der nämlich handelte erstmal von den Leistungen der Bundes-SPD. Erst danach sprach er über Bremen, davon, „dass wir als Partei mitreden müssen, uns einmischen, selbstbewusst sein und nicht anderen hinterherlaufen.“ Als Erfolge der Basis unter seiner Führung nannte Grotheer die Linie 4, die Rennbahn, „die mindestens doppelt so teuer“ geworden wäre ohne Basis-Veto, dasselbe gelte für die Botanika.

Zur Scherf-Nachfolge erklärte Grotheer: „Wir haben gute Leute im Senat und werden von den guten Leuten die beste Person auswählen.“ Das ging an Bildungssenator Willi Lemke, der als Scherf-Nachfolger im Rennen ist. Als Grotheer das sagte, starrte der Fraktionsvorsitzende Jens Böhrnsen, als potenzieller Scherf-Nachfolger derzeit vor Lemke gehandelt, regungslos auf die Tischplatte, die Arme vorm Bauch verschränkt.

Carmen Emigholz – als sie sprach, war der Saal mucksmäuschenstill – zeichnete ein sehr viel klareres Bild, wie sie sich die Arbeit der Partei in Zukunft vorstelle: Sie sprach von „neuen Arbeitsformen“, öde Parteitage sollten durch „offene Arbeitsprozesse“ abgelöst werden, in denen die Basis wieder über Inhalte streiten soll. Ihre Meinung über die große Koalition: „Es kann sein, dass Phasen einer so langen Regierung auch Mehltau mit sich bringen.“ Und: „Große Koalitionen organisieren auch Aufbrüche in andere Zeiten.“

Einer der ersten, der Emigholz nach ihrer Wahl gratulierte, war Carsten Sieling, designierter Nachfolger des SPD-Landesvorsitzenden Detlev Albers. Sieling und Emigholz waren als Team angetreten. Nach Emigholz’ Wahl nominierte der Parteitag Carsten Sieling für die Albers-Nachfolge am 20. März. Im Amt bestätigt wurden Vize-UB-Vorsitzender Frank Schmitz mit 147 Stimmen, Kassiererin wurde Susanne Kröhl, Schriftführer Joachim Schuster. Susanne Gieffers

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen