piwik no script img

Leise Experimente

Die Hamburger Fotografin Ingrid von Kruse porträtiert Venedig: Eine Schau in der Lübecker Kunsthalle St. Annen

Hell scheint die Wintersonne in die historischen Räume der Lübecker Kunsthalle St. Annen – beinahe so kristallin wie in der Lagunenstadt Venedig, wenn der dichte Nebel nicht alles in Melancholie-Watte hüllt. Ingrid von Kruse, die bekannte Hamburger Porträtfotografin, die in der Nähe von Lübeck aufwuchs, ist oft nach Venedig gefahren, um die Stadt zu fotografieren.

Die aus der Casa di Goethe in Rom übernommene Ausstellung „Ein Venedig-Porträt“ zeigt allerdings mehr als das typische Postkartenvenedig. Es sind beinahe 80 Schwarzweißfotografien, die zusammen ein genaues Stimmungsbild der Stadt geben. Etwa die Hälfte der Arbeiten sind Porträts, Bilder der Menschen der Stadt, Politiker und Adlige, Künstler, Arbeiter und Philosophen. Vor allem Künstler: Schriftsteller, Architekten, Regisseure und Musiker. Und so unterschiedlich diese Menschen auch leben: Sie alle scheinen ganz selbstverständlich Venezianer zu sein. Kleinere Texte erzählen ihre Lebensgeschichte, in der sie immer wieder sagen, dass sie sich nichts anderes vorstellen können, als in Venedig zu leben. Wie etwa die alte Contessa, die dem Haus des ersten venezianischen Dogen entstammt. Die Fotografien zeigen die ganze Schönheit Venedigs, die im Detail steckt. Spiegelungen im Wasser, die großen Kirchenbauten Palladios, Blicke durch die Kanäle, prächtige Villen, alte Marmorstufen und feuchte Backsteinmauern.

Ingrid von Kruses Blick ist keineswegs neu und setzt vor allem auf präzise Kompositionen, denen immer eine Patina des Historischen anhaftet. Die Fotografien von Ingrid von Kruse blicken zurück in ein anderes mediales Zeitalter. Deutlich geerdet ist diese Fotografie im soliden Handwerk, das sich mit dem Sinn für den entscheidenden Augenblick verbindet. Man fühlt sich immer wieder an Cartier-Bressons Diktum des perfekten, fotografischen Moments erinnert – doch auch an Nobuyoshi Arakis unheimlichen Satz, dass der Tod immer schwarzweiß sei.

Leise klingen auch experimentelle Strömungen der Avantgardefotografie des 20. Jahrhunderts an, einige Mehrfachbelichtungen sind in der Ausstellung, die an die Anfänge des Mediums erinnern. Eine Zeit euphorischer Versuche, wie das fotografische Bild manipuliert werden kann. Doch meistens verlässt sich die Fotografin auf ihren guten Blick.

Marc Peschke

„Ingrid von Kruse: Ein Venedig-Porträt.“ Kunsthalle St. Annen, Lübeck, St.-Annen-Straße 15, Di–So 10–16 Uhr; bis 14.3.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen