berliner szenen Tageseintopf

Abwärts geht’s immer

„Det is meene Stadt“, ruft ein verwirrter Typ, der mit ausgebreiteten Armen vorm Fenster steht und durch seine Hornbrille begeistert in Richtung Mehringdamm hinunter stiert. Er lacht laut auf. Wahrscheinlich betrunken.

Wir befinden uns im zehnten Stock des Rathauses Kreuzberg. Richtig, es ist die Mensa des Bezirksamts, jenes tristen Hochhauses an der Yorkstraße. Hier sitzen sie. Magenkranke Männer mit grauen Gesichtern, die ihre letzten Haare über die Glatze gekämmt tragen und Skat kloppen. Sie rufen sich knapp hervorgestoßene Kommandos zu, schlürfen Linsensuppe und rauchen dabei. Es riecht nach deutscher Amtsstubentristesse. Sie vermischt sich mit appetittötenden Küchendünsten und dem Aroma abgestandenen Kaffees.

An der Essensausgabe bedient eine junge Frau mit Kopftuch. Gemessen füllt sie geschmacklose Kürbiskernsuppe mit Lammfleisch in die Teller der Sekretärinnen. Niemand lacht. Drei verkaterte Männer, die wortlos aus dem Aufzug gestiegen und wie in Trance hereingekommen sind, bestellen tonlos. Dann setzen sie sich in die Nichtraucherzone und stochern lustlos in ihren matschigen Kartoffeln herum.

Draußen wirbeln Schneeflocken. „Ich sach mal so“, meint der Blonde mit der Brille plötzlich, „wir müssen jetzt aber echt wieder rüber ins Büro.“ Achselzuckend stehen sie auf, stellen ihre Tabletts in den Geschirrwagen und nehmen den Aufzug abwärts.

„Und was hast du so gemacht, als du schwanger warst?“, fragt dort eine Fünfzigjährige ihre ledergesichtige Kollegin. „Nur gesoffen. Das gab dann ’ne Fehlgeburt, und mein Mann hat mich auch verlassen.“ „Na ja“, meint die andere. Und dann sind wir unten. JAN SÜSELBECK