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GEGEN TIERSEUCHEN IST GESÜNDERE HALTUNG DAS BESTE REZEPTAuch Billig-Geflügel hat seinen Preis

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist die Geflügelpest in Nordrhein-Westfalen ausgebrochen. Über 70.000 Tiere sind bereits getötet worden und müssen nun „unschädlich beseitigt“ werden, wie es im Fachjargon heißt. Schadensbegrenzung nennt man das.

Warum erinnert uns die Geflügelpest nicht an die Maul- und Klauenseuche? Die Transportverbote nehmen wir nur wahr, wenn uns eine Straßensperre zu einem Umweg zwingt. Was aber ist mit den allabendlichen Fernsehberichten von Verbrennungsöfen, in die die Tiere – zur unschädlichen Beseitigung – geschoben werden? Und wie werden Hühner eigentlich getötet? Werden sie vergast? Während wir die Tötung von 7 Millionen Rindern wegen MKS inzwischen weitgehend vergessen haben, nehmen wir die 30 Millionen Tiere, die der Geflügelpest in den Niederlanden und Belgien innerhalb von zehn Wochen bereits zum Opfer gefallen sind, nicht einmal wahr.

Dabei sind wir Teil eines Systems, das die Risiken des Ausbruchs und der Verbreitung von Seuchen immer mehr erhöht. Wir wollen nicht nur viel, wir wollen es auch billig: Eier und Geflügelfleisch als Dauerschnäppchen. Der Jahresverbrauch an Geflügel in Deutschland ist in den letzten zehn Jahren um 50 Prozent auf 18 Kilo pro Kopf gestiegen. Nur Massenproduktion auf Kosten von Tier- und Umweltschutz macht’s möglich. Aber für die Billigpreise zahlen wir auch mit einem steigenden Risiko durch immer mehr Transporte.

Die Tiere selbst, ihr Futter, die Desinfektionsmittel – alles muss herangekarrt werden. Denn Geflügelproduktion findet in hohem Maße „bodenunabhängig“ statt. Deshalb muss alles abtransportiert werden – bis hin zur Gülle, die manchmal auf hunderte Kilometer entfernt liegenden Agrarflächen ausgebracht wird. Immer länger werden auch die Wege zu den privatisierten Schlachthöfen. Denn der Strukturwandel führt zu immer wenigeren und immer größeren Betrieben – ob zur Futterproduktion, zur Aufzucht oder zur Schlachtung. Und auf all diesen Wegen können sich Seuchen verbreiten.

Das Krisenmanagement kann jetzt nur weiteren Schaden begrenzen. Den Preis zahlen Millionen getöteter Tiere. Mit ihnen bleibt wie so oft auch die Ursachenvermeidung auf der Strecke. Dafür wäre „Krisenstabilität“ vonnöten: Mit weniger Tieren, die zudem in bäuerlichen Strukturen gehalten werden, und weniger Transporten kann die Verbreitung von Tierseuchen wirksam eingeschränkt werden. Das hätte seinen Preis. Den aber könnten wir bezahlen, wenn wir wollten. ANITA IDEL

Die Autorin ist Tierärztin und leitet die Projekt-koordination Tiergesundheit & Agrobiodiversität

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