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theaterGefangen in Freiheit

Wir Menschen um die dreißig sind ein wahnsinnig spannender Verein. Davon sind wir überzeugt, und deshalb sorgen wir dafür, dass wir ständig im Gespräch bleiben: Wir beherrschen das Vorabendprogramm, schreiben haufenweise Bücher über uns und geben uns putzige Namen wie Generation Ally, wahlweise Golf. Bei Simon Bowen, Autor und Schauspieler aus London, sind wir die Generation Frei – die freiesten Menschen, die es bis dato gegeben hat. Auf dieser Annahme basiert sein Stück „Free“. Das Publikum feierte seinen Erstling bei der Deutschlandpremiere am Samstag in der Schlosserei.

Dass mit großer Freiheit auch große Orientierungslosigkeit und ein tiefes Gefühl des Beliebigen einhergehen, ist für uns nicht neu, und das finden wir auch nicht wirklich originell und doch – das Stück packt uns: Die acht Menschen auf der Bühne sprechen unsere Sprache, geben Halbsätze von sich, schwafeln von „Herausforderungen“, die sie „weiterbringen“ sollen, benutzen die verblasenen Schlagwörter unserer Arbeitswelt und schreien zwischendurch immer wieder verzweifelt „Hallo?!“ ins Handy, weil niemand sie hört. Diese Menschen shoppen auf Kreditkarte, buchen Arbeitskräfte bei der Personalagentur und Freunde beim Begleitservice, spielen „Aussteigen“ und laufen doch immer wieder gegen die Wand. Diese Menschen können Probleme perfekt negieren, ihnen mit rasierklingenscharfer Ironie elegant die Wurzel abschneiden, diese Menschen haben Geist und Geld und vor allem eines: überhaupt keine Ahnung von ihrem Leben – wie wir.

Bowens Stück ist eine Zustandsbeschreibung, ein wenig zu lang, doch die SchauspielerInnen (durchweg exzellent, deshalb hier nicht einzeln benannt) spielen mit Witz und großem Tempo gegen die Textmenge an. Bis auf wenige dröge Momente gelingt es Regisseur K.D. Schmidt, das reine Sprechstück in lebendiges Geschehen zu verwandeln. Hilfreich sind dabei Comic-Animationen (Martin Haußmann) und das symbolträchtige Bühnenbild (Hansjörg Hartung): Bartresen werden zu Barrieren, an denen sich die Sushi essenden, Alkopops trinkenden Helden immer wieder stoßen. Wie wir. Touché, Mr. Bowen.

Holger Möhlmann

„Free“: Schlosserei, 11.-13. März, jeweils 20 Uhr, Tel 0221 / 28 40 00

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