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Der Hund ist tot

Was ihm früher Schrift gewesen war, wurde am Ende einfach Ausscheidung. Ein Nachruf

Anfang des Jahres vergnügten die Winterferien an der See ihn herzlich. Keine Ermüdungserscheinungen bei den Spaziergängen; er wäre auch länger mitgelaufen als die Stunde, auf die wir sie mit Rücksicht auf ihn reduzierten.

Lustig schleppte er dies und jenes Zeug hin und her, dass ihm das Zupacken Mühe machte, irritierte ihn wenig. Auch die Nahrungsaufnahme verlief in der gewohnten Geschwindigkeit, er verschlang alles hauruck.

Und näherte sich einer von seinesgleichen unbotmäßig auf der Straße oder am Strand, zeigte er sogleich sein ganze Arsenal an Drohgebärden, wie in den besten Jahren.

Freilich wirkte er manchmal ein bisschen verwirrt, und seine energische Stimme klang dann heiser. Dass das Alter ihn vollkommen taub gemacht hatte, merkte man ihm aber kaum an. In der Regel war er gut orientiert.

Was nicht zu übersehen war: Die Geschwulst, die eine zweite Operation zu beseitigen versucht hatte, kehrte zurück. Keineswegs dramatisch, nur als leichte Schwellung. Und am Hals fühlte man Knoten in den Lymphdrüsen.

Nach den Ferien erhielt er bei Dr. Cousin die notwendige Hormonspritze wegen der Prostataprobleme, die in seinem Alter aufzutreten pflegen.

Auch Dr. Cousin diagnostizierte die Rückkehr der Geschwulst; sogar an der Stelle machte sie sich breit, wo sie in einer ersten Operation so fein säuberlich entfernt worden war, was vor zwei Jahren unsere Hoffnung auf sein langes Leben stimuliert hatte. Doch könne es noch eine Weile dauern mit dem Ende, sagte Dr. Cousin, gegen dessen medizinische Maßnahmen er sich wieder mit den gewohnten Wutanfällen wehrte.

Hinterher aber scharwenzelte er gut gelaunt durch die Praxisräume und erlangte den einen und anderen Belohnungskeks. Dankbar schauten wir ihm zu, als er nach dem Arztbesuch erleichtert das Trottoir ablief, die Mitteilungen der Genossen kontrollierend.

Aber es dauerte keine Weile, es ging schnell. Obwohl wir ihm für das Spazierengehen Quartiere auswählten, die wir nur selten besuchten, die also voll unbekannter, Neugier erweckender Botschaften sein mussten, folgte er uns nur langsam nach (früher wäre er vorneweg gelaufen). Zwar schaute er freundlich, wenn man auf ihn wartete, bis er das Allernotwendigste pflichtgemäß erledigt hatte; aber angenehmer schien ihm die Rückkehr zum Auto (in das man ihn schon eine ganze Weile hineinheben musste).

Die Drüsen an seinem Hals bildeten bedrohliche Klumpen – nein, beschied Dr. Cousin, das ist keine Flüssigkeit mehr, das ist Gewebe. Was sichtbar war von der Geschwulst am Maul, sah nicht weiter gefährlich aus; aber vermutlich, so Dr. Cousin, finden sich im Innern an den Organen Absiedelungen, die allmählich Vitalfunktionen schädigen.

Genau besehen brauchte es für das Ende drei Tage. Spaziergänge hörten vollkommen auf, ihn zu interessieren; vor der Haustür blieb er stehen und schaute zweifelnd. Am Mittwoch reichte es nicht einmal mehr für eine Runde ums Karree. Was früher Schrift gewesen war, wurde jetzt einfach Ausscheidung, die er nach wenigen Schritten auf der Straße absonderte.

Dann hörte die Nahrung auf, ihn zu interessieren. Lustlos verschmähte er die Standardgerichte und sogar die Delikatessen, die wir extra besorgten, um ihn zum Verweilen im Leben einzuladen. Am Donnerstag, nach der Rückkehr vom Einkaufen – zu dem er natürlich nicht mehr mitkam, wie es so lange Usus gewesen war – saß er im Flur und bellte, bellte anhaltend und sinnlos; es ließ sich kein äußerer Anlass entdecken (er war ja taub).

Es ist immer schwierig mit den Deutungen: Wir erkannten eine Art Wut- oder Verzweiflungsanfall, wie er seinem Machotemperament entsprach. Ein Kerl wie er macht sich nicht stillschweigend davon.

Er folgte uns in die Küche, wo es Mittagbrot geben sollte, hockte sich unter den Tisch und bellte weiter. Unglücklich bewegte er sich zu seinem Wassernapf und versuchte zu trinken, aber bekam nichts runter, vermutlich die Schwellungen am Hals.

Dann noch einmal ein Bellen und ein weiterer Trinkversuch. Dann ließ er sich an der Küchentür nieder und verfiel in eine Art Schlaf oder Bewusstlosigkeit.

Man braucht mit dem Sterbenden nicht mehr in die Arztpraxis zu fahren, Dr. Cousin kommt ins Haus.

Ich hatte unterdessen so viel getrunken, dass ich davon kaum mehr mitbekam als der sterbende Spaniel. Mit einer Haarschneidemaschine wird an der Pfote ein Stück Haut freigelegt, damit eine Vene erscheint. Erst gibt es ein Beruhigungsmittel, das wie eine Narkose wirkt. Dann kommt das Barbiturat. Zwei Monate später wäre er 14 Jahre alt geworden.

Er bekam ein richtiges Grab, unter einer Birke, in einem Wäldchen Brandenburgs.

MICHAEL RUTSCHKY, Jahrgang 1943, ist Essayist, Buchautor und schreibt regelmäßig Beiträge für die taz. Er lebt in Berlin. Das Foto seines Spaniels stammt aus Rutschkys Buch „Berlin. Die Stadt als Roman“ (Ullstein Verlag, Berlin 2001, 200 Seiten, 24 Euro). Am 25. März erscheint sein jüngstes Werk; „Wie wir Amerikaner wurden. Eine deutsche Entwicklungsgeschichte“ (Ullstein Verlag, München, 206 Seiten mit Abbildungen, 20 Euro)

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