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Die Sozialsenatorin hat sich verrechnet

Stadtstaatenvergleich zeigt: Berlin hat keinen Ausstattungvorsprung bei der Behindertenhilfe. Heidi Knake-Werner will dennoch vorsichtig sparen

von ANNE RUPRECHT

„Wir haben in Berlin klare Ausstattungsvorsprünge. In anderen Bundesländern ist die Betreuung und Unterbringung von behinderten Menschen billiger.“ So argumentierten bislang Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) und Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS), um in Zeiten knappe Kassen Kürzungen bei der Behindertenhilfe durchsetzen zu können.

Getreu der Devise, trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast, gab die Senatsverwaltung für Soziales im Herbst gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden einen Stadtstaatenvergleich mit Hamburg und Bremen in Auftrag. Und siehe da: Die Senatsverwaltung hat sich verrechnet, die Wohlfahrtsverbände gehen gestärkt in die nächste Verhandlungsrunde. Denn laut dem gestern vorgelegten Gutachten verfügt Berlin über ein vorbildliches Hilfesystem, das nicht nur mit verhältnismäßig wenig Angeboten auskommt, sondern auch im Kostenvergleich gut dasteht.

Dem Gutachten zufolge gibt es in Berlin pro 1.000 Einwohner 2,31 Plätze in Behinderteneinrichtungen. In Hamburg sind es 2,42 und in Bremen gar 2,59 Heimplätze, errechnete das Hamburger Beratungsunternehmen Consens. Hinzu kommt, dass der Anteil Schwerbehinderter an der Bevölkerung in der Bundeshauptstadt mit 10,2 Prozent sogar höher ist als in den beiden anderen Stadtstaaten, in Hamburg sind es 7,8 und in Bremen 8,4 Prozent.

„Das Berliner Hilfesystem als Ganzes kostet weniger als in Hamburg und Bremen“, resümierte denn auch Senatorin Knake-Werner. Nur bei den reinen Betreuungskosten schneide Berlin schlechter ab. „Doch das liegt daran, dass wir hier wenig stationäre Plätze und viele ambulante Angebote haben. Die sind betreuungsintensiver.“

Der Liga-Vorsitzende Thomas Dane warnte indessen, nun hier den Rotstift anzusetzen: „Wenn wir bei den Betreuungskosten übermäßig sparen, müssen wir auf der anderen Seite mehr für stationäre Angebote ausgeben.“ Was die desaströse Haushaltslage angehe, sei die Liga bereit, einen Teil zu den nötigen Einsparungen beizutragen. Der Städtevergleich liefere jedoch keine Ansatzpunkte für Kürzungen.

Das sieht die Sozialsenatorin weiter anders. Das Gutachten zeige sehr wohl Einsparungsmöglichkeiten auf. Allerdings möchte auch Knake-Werner nur vorsichtig und nicht „nach dem Rasenmäherprinzip“ kürzen, um das so gelobte Berliner System nicht zu gefährden: „Jährlich zwei Prozent in den nächsten vier Jahren.“ Liga-Vorsitzender Dahn hält „allenfalls ein Prozent“ für machbar. Beide demonstrierten jedoch guten Willen: „Dass wir gemeinsam zur Pressekonferenz eingeladen haben, ist doch ein gutes Zeichen.“

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