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Katastrophen, kalt serviert

Alte Liebe rostet nicht: Die kultisch verehrten Belle & Sebastian hielten in der Columbiahalle erstmals Hof in Berlin. Nur ein einsamer Buh-Rufer störte die Harmonie

Eigentlich ist es ausgeschlossen, einfach so in ein Belle-&-Sebastian-Konzert hineinzugeraten, ohne bereits zu wissen, was einen erwartet. Ohne sich schon sicher zu sein, dass man begeistert sein wird. Und doch: Als die kultisch verehrte Indie-Band aus Glasgow am Montag in der Columbiahalle spielte, stand da – inmitten von Hundertschaften treu ergebener Fans – einer, dem es partout nicht gefallen wollte. „Buh!“, rief er hartnäckig in das Gejubel hinein.

Dieser einsame Protest war die größte Überraschung des Abends, noch größer als das Erstaunen darüber, dass die schottischen Folk-Popper mit den zarten Melodien nun tatsächlich einmal leibhaftig auf einer Berliner Bühne standen. Nach all den Jahren des Sich-rar-Machens.

Ob es nicht eigentlich bereits zu spät sei für solch ein Konzert-Debüt, hatte man sich im Vorfeld gefragt. Das letzte Album, „Dear Catastrophe Waitress“, war eher skeptisch aufgenommen worden: zu wenig Ennui, zu viel Prozac, produziert von dem Plastik-Popper Trevor Horn, der sich zuletzt an t.A.T.u. die Finger schmutzig gemacht hatte. Auch der Weggang des Gründungsmitglieds Isobel Campbell und die plötzliche Bereitschaft des verbliebenen Masterminds Stuart Murdoch, Interviews zu geben, galten als Hinweise darauf, dass man die Band doch viel lieber schon 1998, bei ihrem ersten Deutschlandkonzert in München, gesehen hätte. Damals war gerade ihr von vielen noch heute favorisiertes Album „If You’re Feeling Sinister“ erschienen.

Doch alte Liebe rostet nicht, und vielleicht ist das erste Mal auch umso beglückender, je länger man sich darauf gefreut hat – die Fans in der ausverkauften Columbiahalle empfingen Belle & Sebastian jedenfalls wie alte Freunde.

Zu zwölft standen sie auf der Bühne, wie ein Mini-Orchester mit richtigem Streichquintett, und spielten sich durch das jüngste Album und durch alte Hits wie „The Boy With The Arab Strap“ oder „The Wrong Girl“. Stuart Murdoch in seinen weißen, etwas zu hoch gezogenen Jeans stand im Zentrum der Aufmerksamkeit, sein Gesangspartner Stevie Jackson schaute schüchtern zu Boden. Wie ein ungleiches Zwillingspaar, das sich fast dieselbe sahnige Stimme teilt, wirkten sie: der eine (Stuart) etwas androgyner im hohen Tenor, der andere (Stevie) tiefer im Bass.

Wenn ein spanisches Trompetensolo einsetzte oder Stevie mit seiner Mundharmonika echtes Schottland-Prärie-Feeling herbeizauberte, war das Publikum besonders verzaubert: ein Meer aus versonnen-verzückten Gesichtern, ineinander verschlungenen, über die Köpfe gereckten Händen und schunkelnden Körpern. Mehr Pop ’n’ Cuddle als Rock ’n’ Roll.

Für „Dear Catastrophe Waitress“ wurde dann flugs ein Tisch mit karierter Tischdecke auf die Bühne getragen, an dem Murdoch wie in einem Restaurant Platz nahm, um das Cover-Motiv des jüngsten Albums nachzustellen – als Slapstick. Ein junges Fräulein erschien und klatschte ihm eine Sahnetorte ins Gesicht: die Rache dafür, dass Belle & Sebastian die Berliner so lange auf ein Konzert hatten warten lassen. Murdoch überreichte der Waitress für ihre darstellerische Leistung artig ein Dankeschön und tänzelte dann weiter – mit federndem Schritt und zuckenden Schultern.

Der verirrte Buh-Rufer hatte zu diesem Zeitpunkt schon längst aufgegeben. Bereits gegen Halbzeit hatte er mit seinen hässlichen Kommentaren so viele strafende Blicke auf sich gezogen, dass er dann doch lieber die Klappe hielt. „Buh!“, das mochte ja noch als akzeptable, wenn auch etwas lästige Meinungsäußerung durchgehen. Aber „Scheiß schwule Tunten!“ – das ging den glücklichen Belle-&-Sebastian-Fans dann doch entschieden zu weit. JAN KEDVES

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