: Sachsen braucht keinen König
In Sachsen und Sachsen-Anhalt amtieren seit einem Jahr die CDU-Ministerpräsidenten Milbradt und Böhmer. „König Kurt“ Biedenkopf ist passé
DRESDEN taz ■ „Wir brauchen neuen Schwung!“ Mit solchen Beschwörungen empfahl sich Georg Milbradt Ende 2001 als Nachfolger des angeschlagenen Ministerpräsidenten von Sachsen, Kurt Biedenkopf (CDU). „Zeit für einen Neubeginn“, lautete auch einer der Wahlkampfslogans Wolfgang Böhmers, mit denen er im April 2002 in Sachsen-Anhalt einen Regierungswechsel zugunsten der CDU herbeiführte. Milbradt und Böhmer sind nun ein rundes Jahr im Amt, doch von Schwung und Aufschwung ist nicht viel geblieben.
Böhmer räumte schon in seiner Jahresendbilanz 2002 ein, dass er „mehr Tempo erwartet hätte“. Er ist im Grunde der nüchterne ehemalige Chefarzt geblieben, und der Hang zu teils entwaffnender Ehrlichkeit verrät weiterhin seine Ost-Sozialisation. Sein weststämmiger Kollege Milbradt in Dresden hingegen bleibt der geborene Taktiker, obschon ebenfalls im Ruf eines Pragmatikers stehend. Wie eine Flucht nach vorn mutet das Buch „Kraft der Visionen an“, das Milbradt zu seinem „Jahrestag“ von einem FAZ-Autor aufschreiben ließ. Ein visionsloses Sammelsurium neoliberaler Bekenntnisse, das Insider in Dresden nur lächeln lässt und wohl den einzigen Zweck verfolgte, endgültig aus dem Schatten seines Vorgängers Biedenkopf zu treten.
Ein Buch, das aber auch signalisiert, wie wenig sich eigentlich geändert hat in Sachsen. Das Hochwasser nach kaum 100 Tagen Amtszeit kam, wenn man so will, zur rechten Zeit, Milbradt ebenfalls mit der Aura des Landesvaters zu umgeben. Gummistiefel und Polo-Shirt waren die neuen Insignien, passend zum Bauernsohn Georg. Biedenkopf galt zwar als „König Kurt“, überließ jedoch seinen Ministern die wesentliche Arbeit. Milbradt hingegen praktiziert die Ein-Mann-Regierung. Ob bei Umstrukturierung der Hochschullandschaft, elementaren Einschnitten bei der Kulturförderung oder bei den Zentralisierungsabsichten im neuen Landesentwicklungsplan – überall ist Milbradts Handschrift aus seiner Zeit als Finanzminister spürbar.
Gerade nach der Flut ist seine Dominanz im Kabinett übermächtig geworden – trotz des vertraulichen „Du“ am Kabinettstisch. Milbradt selbst räumte vor Jahresfrist ein, dass es sich um ein Kabinett der Rücksichtnahmen auf Lobbys und weniger um Qualitätsauslese handelt. Mit der Ruhigstellung aller Flügel ist Milbradt bislang gut gefahren. Sein größter Erfolg dürfte in einer unverändert hohen Zustimmungsquote zur CDU-Landespolitik von 57 Prozent bestehen, obschon vom Mythos des ostdeutschen Musterländles kaum etwas geblieben ist.
Wo aber ist jener angebliche Biedenkopf-Bonus geblieben, ohne den die sächsische Union zu einer 30-Prozent-Partei schrumpfen würde, wie manche glaubten? Offenbar haben sich auch Journalisten über die royalistischen Verehrungsbedürfnisse der Sachsen getäuscht. Die können jetzt anscheinend ganz gut mit einem weniger telegenen Ersatzkönig leben, der auch die Wortführerschaft als Stimme des Ostens längst abgegeben hat.
Diese Wortführerschaft vertritt überzeugender inzwischen Wolfgang Böhmer aus Magdeburg, nicht zuletzt dank seiner Rolle als turnusmäßiger Bundesratsvorsitzender. Hier mahnte er gleich in seiner Antrittsrede Kompromiss- und Konsensfähigkeit der konkurrierenden politischen Parteien an. Sein umgänglicher, väterlicher Ton macht überall Eindruck.
Anders als in Sachsen bewegt sich die Magdeburger CDU-FDP-Regierung allerdings ständig in schwerer See. Die Kinderbetreuung, Vorzeigestück der SPD-Vorgängerregierung, wurde unter anhaltenden Protesten demontiert, Schulen und Hochschulen stehen wie die Kultur unter massiven Sparzwängen, die Verwaltungsreform stagniert. Weder Arbeit noch Investoren sind im versprochenen Umfang gekommen, auch wenn Sachsen-Anhalt den letzten Platz in der Arbeitslosenstatistik einmal abgeben konnte. Die schlechte Stimmung ist auch bei Unternehmern laut einer Umfrage der IHK Magdeburg so schlecht wie seit 1991 nicht mehr. Aber dafür können Dresden und Magedeburg nun in konservativer Einheitsfront die rot-grüne Regierung in Berlin verantwortlich machen. MICHAEL BARTSCH
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