: La Coruña hat mehr als nur Fußball
Santiago in Nordwestspanien feiert das heilige Jahr. Die Konkurrentin La Coruña hat nicht einmal eine Kathedrale. Sie verehrt eine Metzgerin
VON TOBIAS BÜSCHER
Wenn Amancio Ortega durch die galicische Hafenstadt spaziert, tut er das inkognito. Viel weiß man nicht über ihn, angeblich hat er noch nie eine Krawatte getragen und hasst nichts so sehr wie Promitreffs und Interviews mit Fernsehteams. Ein unscheinbarer Typ, eher vorsichtig, bedacht, fleißig. Ein Galicier eben. Und einer der reichsten Männer Spaniens. In La Coruña hatte er noch zu Franco-Zeiten Hemden ausgetragen, inzwischen beschäftigt er über 24.000 Arbeiter. Massimo Dutti, Kiddy’s Class oder Stradivarius, alle diese Marken gehören ihm, doch der eigentliche Erfolgshit heißt Zara. Der „Hosenkavalier“, wie man ihn hierzulande schon betitelt, hat ohne Universitätsabschluss und ohne namhafte Ausbildung in La Coruña das mächtigste Modeimperium Spaniens aufgebaut. Bei ihm kleiden sich Königstöchter und Hafenarbeiter ein: mit trendigen Röcken, saloppen Anzügen und bunter Jugend-Fashion. Sein Werk liegt im Außenbezirk der atmosphärischen Hafenmetropole. Und die kennt bei uns kaum jemand.
Grund dafür ist die Pilgerstadt Santiago, die La Coruña auch in diesem Jahr wieder in den Schatten stellt und dabei kaum eine Stunde Busfahrt entfernt liegt. Denn weil der 25. Juli als Namenstag des Apostels Jakob auf einen Sonntag fällt, ist wieder ein „heiliges Jahr“. Santiago erwartet weit über 200.000 Pilger, 3.000 Veranstaltungen sind geplant, darunter Konzerte von Bob Dylan und David Bowie.
La Coruña hat kaum Gäste, geschweige denn Pilger. Wie auch: Es ist die einzige größere Stadt weit und breit, in der keine Kathedrale steht. Nur in einem erregt sie international Aufmerksamkeit: im Fußball. Der Club hatte schon in den 1990ern ballversierte brasilianische Spieler engagiert. Sie fühlten sich wohl hier, zumal ihr Portugiesisch dem Spanischen und vor allem dem Galicischen sehr ähnelt. Das Umfeld stimmte, die Integration war leicht. Und plötzlich machte Deportivo La Coruña den übermächtigen, reichen Clubs Real Madrid und FC Barcelona die Hölle heiß, gewann Pokale und sogar schon die Erste spanische Fußball-Liga. Inzwischen heizt sie bei der Champions League mit Diego Tristán, Juan Carlos Valerón und manchem blutjungen Spieler auch gerne Liverpool oder auch Bayern München ein. Abgezockt hat der Club die Bayern, als er ihnen für eine horrende Summe ihren Torjäger Roy Makaay verkaufte. Spätestens seither kennt jeder den Verein, die Stadt selbst dagegen bleibt so inkognito wie ihr erfolgsverwöhnter Modezar.
Dabei hat sie einiges zu bieten. Einmalig liegt die Altstadt der Hafenmetropole auf einer Halbinsel, umspült von den Wellen des Atlantik. Souvenirstände mit Pilger-Donald-Ducks und Aschenbecher mit Jakobskreuz gibt es hier nicht. Dafür Marktfrauen, die gerne mal den Schal des Fußballclubs tragen und Stadionlieder anstimmen. Das fördert den Gemüseverkauf. La Coruña heißt die Gläserne, und warum das so ist, wird bei einem Hafenspaziergang deutlich. Dort sind die weiß gestrichenen Holzvorbauten der Häuser aus dem 19. Jahrhundert mit vielen Glasscheiben versehen. Diese Galerías bringen Licht und halten den Wind ab. Sie sind hier so charakteristisch wie sonst nirgends in Nordspanien.
La Coruña hat einen Sozialisten als Bürgermeister. Das ist ungefähr so, als hätte Gregor Gysi ein solches Amt in Niederbayern. Paco Vázquez heißt er. Vom Schock des „Prestige“-Tankerunglücks im November 2002 haben sich seine 300.000 Stadtbewohner noch längst nicht erholt, doch im Atlantik baden sie wieder, die Strände sind gereinigt und selbst einige Entenmuscheln von der nahe gelegenen Costa da Morte, der „Todesküste“ liegen schon wieder in den Markthallen aus. Vázquez hat Madrid bei den Fehlentscheidungen rund um das Tankerunglück so scharf angegriffen wie kaum ein anderer. Er hat die Stadt unabhängig davon derart in Schwung gebracht, dass manche ihn für den besten Bürgermeister Spaniens halten.
Weite, übel riechende Müllhalden in bester Lage am Atlantik ließ er mit Beton versiegeln und darüber einen weitflächigen Park anlegen. Den Verkehr hat er unter die Stadt geführt und die ganze Altstadt mit einer neuen Straße umrundet. Auf ihr fährt eine alte Straßenbahn vom Hafen bis zu den Stränden und zum Herkulesturm, dem ältesten noch funktionierenden römischen Leuchtturm der Welt.
Doch nicht ihren Bürgermeister lieben die Bewohner, sondern eine Metzgerin. Nach ihr ist der Hauptplatz benannt. Sie gilt als Heldin im Kampf gegen Francis Drake, den Expiraten im Dienst der englischen Krone. Im Jahr 1589 attackierte der Haudegen mit zahlreichen Schiffen die Hafenstadt, konnte sie aber wider Erwarten nicht einnehmen. Dies soll nicht zuletzt am Mut der Fleischersfrau María gelegen haben, die sich mit den örtlichen Soldaten und Fischern todesmutig in den Kampf warf. Im nahen Santiago zog man unterdessen lieber die Köpfe ein und versteckte aus Angst vor dem Piratenüberfall die Reliquien des heiligen Jakob. So gründlich, dass die Gebeine 300 Jahre verschollen blieben und erst Ende des 19. Jahrhunderts auf wundersame Weise bei Bauarbeiten wieder auftauchten. Mit eigentlichem Namen hieß Coruñas Fleischersfrau María Mayor Fernández de la Cámera, aber alle kennen Sie als María Pita. Auf der Plaza María Pita und in den umliegenden Gassen, am Hafen, im Coliseum und an den Stränden wird der Heldin ein Kulturprogramm der Extraklasse gewidmet. Nicht im Juli wie in Santiago, sondern im August.
In Santiago gibt es beim Jakobsfest im Juli Ablass von allen Sünden, sündhaft teure Hotelpreise und Klaustrophobie in den Granitgassen. Und wenn dort das Julifest rund um den Apostel abklingt, beginnt La Coruña erst richtig mit dem Feiern: Es zelebriert seine weltliche Metzgerin den ganzen August über mit Livekonzerten am Strand und frischen Sardinen auf den Altstadtplätzen. Der galicische Volksmund bringt es auf den Punkt: „In Santiago wird gebetet, in La Coruña gelebt.“
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