: Unvereinbare Werte
betr.: „Zwei Gesichter unterm Kopftuch. Kopftuchgegner sehen in dem verhüllenden Stoff vor allem ein Symbol der Unterdrückung von Frauen. Für junge Neomusliminnen kann ihr Kopftuch aber auch Freiheit, Würde und Identität bedeuten“ von Heide Oestreich, taz.mag vom 27. 3. 04
Mit Heide Oestreich hat endlich einmal jemand das Wort in dieser Sache ergriffen, der wirkliches Interesse an dem Phänomen „junge Kopftuchträgerinnen“ und den dazugehörigen Ursachen zeigt und es infolgedessen wohl weder vor noch nötig hat, das Thema für irgendwelche persönlichen ideologischen Feldzüge zu instrumentalisieren, sei es in der Rolle der wohlmeinenden Feministin, die den vermeintlich minderbemittelten Musliminnen engagiert und bereitwillig ihr eigenes intellektuelles Potenzial zur Verfügung stellt, um gemeinsam für die Sache der Frau in Deutschland zu kämpfen, sei es als traumatisiertes Opfer religiöser Eiferer im Rachefeldzug gegen die eigenen Peiniger. Stattdessen spricht Heide Oestreich aus, um was es in dieser Sache wirklich geht: Um „Freiheit, Identität und Würde“ in einem Land, in dem Fremdenhass, wenn auch subtil und in zuckersüßer Verpackung nach wie vor an der Tagesordnung ist und in dem, angesichts der unter dem Nachwuchs des Landes herrschenden Geschlechterkonfusion, jemand, der sich zum Berater in Sachen Geschlechterrollen aufschwingt, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine eher lächerliche Figur macht.
Musliminnen in Deutschland stehen vor der schweren Aufgabe, unvereinbare Werte miteinander vereinen zu müssen, was in der Konsequenz dazu führt, nach einem dritten Weg zu suchen. Und dabei sollte vor allem endlich einmal eingesehen werden, dass die Mädchen und Frauen, die sich für ein Kopftuch entschieden haben, keine verschüchterten, gehirngewaschenen, womöglich stumm geprügelte Wesen sind, sondern sehr wohl eigenständig denken, sprechen und für sich sprechen können. Doch je mehr gegen sie Stimmung gemacht wird, desto geringer wird, wie Oestreich in ihrem Schlussabschnitt verdeutlicht, ihre Chance, dies jemals als ein aktives Mitglied der deutschen Gesellschaft zeigen zu können.
Die Angst vor diesem Stück Stoff ist doch in Wahrheit die vor der eigenen Orientierungsunfähigkeit. Denn wenn ich, um das Beispiel der potenziell Verblendung stiftenden muslimischen Lehrerin heranzuziehen, als Elternpaar (oder in den meisten Fällen wohl eher nur Elternteil) wirklich Vertrauen in meine eigene Erziehung habe, dann finde ich diese ganz bestimmt nicht von einem Stück Stoff bedroht. Dass alles immer nur eine Frage der Perspektive ist, mag ein alter Hut sein – merkwürdig nur, dass trotzdem so wenige bereit sind, sich von ihren Scheuklappen zu trennen. […] TANJA SAMED, Köln
Hätte ich nicht gelesen, dass hier eine taz-Redakteurin schreibt, so hätte ich vermutet, sie wäre sonst mit der Herausgabe einer Courths-Mahler-Edition beschäftigt. Dass Frauen „für das Bedecken der weiblichen Reize und Askese“ gelobt werden, hat mir schon eine alte Tante in den 50er-Jahren erklärt. Auch dass die Frauen sich zurückhalten müssen, was für Männer natürlich nicht gilt. Das nach Jahrzehnten Frauenbewegung und in der linksalternativen taz!
Ich frage mich, wie die verschleierten Muslimas eigentlich mit denen umgehen wollen, die keinen Schleier tragen, somit gegen Gottes Gebot verstoßen und unrein sind. Sind die jetzt „Freiwild“ für ihre Brüder, die nicht Askese üben müssen? Das war ja bei den „alten Gesellschaften, den Gentlemen und Ladys“ auch so: Die „reinen Frauen“ wurden „geliebt und geheiratet“, die anderen – Dienstmädchen oder andere nicht ebenbürtige, tja, die hatten die Männer einzuweisen. Doppelte Moral und Herrenmenschentum und das alles im Namen der Toleranz und des Multikulti. ELVIRA BÜCHNER, Berlin
Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.Die erscheinenden Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen