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Sehnsucht nach der verklärten alten Zeit

In Indonesien, nach dem Sturz der Suharto-Diktatur schon voreilig als drittgrößte Demokratie der Welt bezeichnet, herrscht vor den Parlamentswahlen am Montag große Ernüchterung. Die Partei von Präsidentin Megawati muss mit Verlusten rechnen

Organisatorische Mängel und ein kompliziertes System lassen eine chaotische Wahl befürchten

AUS BANGKOK NICOLA GLASS

Siti Hardiyanti Rukmana genießt derzeit viel Aufmerksamkeit. Die als „Tutut“ bekannte Tochter von Exdiktator Suharto ist mit ihrem Privatjet in fast jeden Winkel des Inselreichs gedüst. Ihre Botschaft: Die Indonesier waren unter dem Regime ihres Vaters wesentlich zufriedener. Doch diese Nostalgie braucht die 55-jährige Spitzenkandidatin einer Golkar-Splitterpartei nicht extra zu schüren: Denn bizarrerweise assoziieren die Armen und Unterprivilegierten mit der Diktatur Suhartos niedrige Preise und Stabilität und nicht Unterdrückung. „Es waren gute Zeiten. Alles war friedlich, und wir waren international hoch angesehen“, so ein Farmer.

Jetzt haben die Sorgen über die Wirtschaftslage Priorität. „Die Menschen denken über die Preise für Reis, Strom oder andere Güter nach, weniger über Probleme wie den Terrorismus“, erklärt Sidney Jones, Leiterin des Jakarta-Büros der International Crisis Group (ICG). Diese wies schon vor etwa drei Monaten mit einer Umfrage darauf hin, dass 58 Prozent der Befragten das Leben unter Suharto für besser hielten. Auf die Zeit nach seinem Sturz 1998 blicken viele desillusioniert: Die Korruption wuchert weiter und das politische Leben manipulieren immer noch wenige Strippenzieher.

Hinzu kommt Enttäuschung über die entscheidungsschwache Präsidentin Megawati Sukarnoputri. Die Tochter des Staatsgründers Sukarno muss sich jetzt noch mit zwei rivalisierenden Schwestern rumschlagen, die auch Sukarnos Erbe als Programm verkaufen. Inzwischen glauben selbst Anhänger von Megawatis Demokratischer Partei des Kampfes (PDI-P) an ihren Popularitätsschwund.

147 Millionen Wähler sind aufgerufen, bei den Parlaments-, Provinz- und Distriktwahlen am Montag ihre Stimme abzugeben. Nur Parteien mit mehr als drei Prozent der Stimmen dürfen bei der Präsidentschaftswahl am 5. Juli einen Kandidaten aufstellen. Das eigentlich als Beweis der Demokratisierung gedachte Wahlsystem hat starke Mängel. Das neue Wahlgesetz war von Anfang an darauf ausgelegt, die großen Parteien zu begünstigen. Nach einem Beschluss der Wahlkommission dürfen von 200 nur 24 Parteien antreten. Dazu gehören Megawatis PDI-P, Suhartos Exregierungspartei Golkar sowie mehrere islamisch-nationalistische Parteien.

Aber auch Letztere sind im größten muslimischen Land der Welt keine echte Alternative, sind sie doch meist nur Abspaltungen der etablierten Parteien. Bei meist chaotischen Kandidatennominierungen gab es oft heftige parteiinterne Auseinandersetzungen zwischen Funktionären und Basis. Erschwert durch organisatorische Mängel droht in einigen Provinzen gar eine Verschiebung der Wahl. Auch die erstmals im Wahlgesetz verankerte Frauenquote von 30 Prozent dürfte nach Schätzung von Beobachtern nur äußerst halbherzig umgesetzt werde. Als sehr kompliziert gelten auch die von den Wählern zu durchlöchernden Wahlzettel: Ellenlang präsentieren sich dort die 24 Parteien mit mehreren hundert Kandidaten für die verschiedenen Ebenen.

Beobachter bezweifeln, dass sich die Situation im krisengeplagten Indonesien durch die Wahlen verbessert. So geht die ICG davon aus, dass die nächste Regierung so oder so eine Koalition rivalisierender Parteien wird – vor allem von PDI-P und Golkar. Das dürfte politische Stagnation und den Unmut der Wähler weiter verschärfen.

Ohnehin beäugt eine kritische Öffentlichkeit misstrauisch die jüngsten Gerichtsentscheidungen wie das Korruptionsurteil im Fall des Parlamentspräsidenten und Golkar-Vorsitzenden Akbar Tandjung. Dessen umstrittenen Freispruch Mitte Februar sehen Kritiker als erneuten Beweis für Indonesiens marode Justiz. Viele sehen hinter dem Freispruch einen Deal, bei dem die PDI-P als bisher stärkste Fraktion ihre Hand im Spiel gehabt haben soll: Denn ein Tandjung als potenzieller Vizepräsident gilt als politisch weniger gefährlich für die angeschlagene Regierungschefin, als wenn er sie direkt herausfordert. Doch darüber entscheidet letztlich, ob Tandjungs Golkar oder Megawatis PDI-P die größte Fraktion im Parlament wird.

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