unterm strich:
Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie leicht sich Menschen über Kunst aufregen. Vermutlich aus Protest gegen die Theaterinszenierung „Die Zehn Gebote“, meldet dpa, haben unbekannte Täter am Mittwoch einen Brandanschlag auf das Haus einer Pastorenfamilie in Bremen verübt. Das Ehepaar erlitt nach Polizeiangaben leichte Rauchvergiftungen. Die Inszenierung „Die Zehn Gebote“ von Johann Kresnik – im Januar feierte sie in der Bremer Friedenskirche Premiere – war unter anderem wegen Nackt- und angedeuteten Sexszenen als nicht geeignet für ein Gotteshaus abgelehnt worden. Die Theaterkritik erregte sich nicht. Bei ihr fiel die Inszenierung aus ästhetischen Gründen durch. „Die angestrebte kritische Grundsätzlichkeit“, so hieß es in dieser Zeitung, werde „allenfalls ein aufgewühlter Konfirmand entdecken.“
Aufgewühlte Konfirmanden gibt es bei der Berliner B.Z. offenbar einige. Das Boulevardblatt bestritt seine gestrige Titelseite mit der Schlagzeile „Skandal um Kinderporno-Ausstellung“ und legte auf Seite 6 nach. Das Künstlerhaus Bethanien zeige in der Ausstellung „When Love Turns To Poison“ keine Kunst, sondern „abstoßende Sex-Phantasien mit Kindern“, „bezahlt aus Steuergeldern“. Als Beleg dafür dient unter anderem eine spärlich bekleidete Häkelpuppe von Françoise Cactus. Schützenhilfe bekommt das Blatt von Wildwasser e. V., von einer „entsetzten Mutter“ und von Bild: Dort wurde unter der Überschrift „Widerlich!“ unter anderem die Fotoarbeit „flag“ von Thomas Hauser abgedruckt, nicht ohne dass die Kontraste der eher neblig gehaltenen Schwarzweißaufnahme verstärkt worden wären. Doppelmoralisten können eben beides haben: den Kick der moralischen Empörung und den Kick des Busenwunder-Bildes.
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