: Es triumphierten die Normalen
Ostern in Berlin: Die Polizei erschoss eine Bibel, und ein „stadtbekannter Kirchenstörer“ wütete im Künstlerhaus Bethanien. Im Fernsehen gab es währenddessen die aktuelle „Big Brother“-Staffel und öffentlich-rechtliche Wunschkonzerte zu sehen
VON DETLEF KUHLBRODT
Es waren seltsame Ostertage. Eigentlich geschah nichts, und es hatte sich wohl auch nichts verändert. Ostern ist ja ohnehin so ein komisches Fest. Nicht ganz so zwanghaft wie Weihnachten oder Silvester, aber auch weit entfernt davon, wirklich angenehm unverbindlich nichts zu sein. Das weniger an Zwanghaftigkeit ist für Alleinstehende aber eher eine Falle. Dadurch, dass man sich nicht genötigt fühlt, irgendetwas Besonderes zu tun, tut man nichts oder das Falsche und hinterher war’s dann doch wieder eine Enttäuschung. Mit Religion, Menschenopfern und Eiern hat man ja eh nichts zu tun; das scheint ja eher eine Sache für Familien mit Kindern, denen vorgegaukelt wird, es hätte irgendeine Bedeutung. Für die Erwachsenen wird der Kreuzestod versplattert, für Kinder verniedlicht, und C. erklärte, die Ordnung beginne schon am Briefkasten, also damit, dass man alle Postkarten, die man kriegt, so auch Ostergrüße, sofort in den Mülleimer schmeißt.
Ostern ging früh schon gut los: Am Mittwochabend hatte die Polizei eine Bibel zerschossen, die sich in einem Päckchen befand, das jemand in der Deutschen Bank am Kurfürstendamm/Uhlandstraße liegen gelassen hatte. Gleichen Tags zerstörte „der stadtbekannte Kirchenstörer“ (Tagesspiegel) Andreas Roy ein Dutzend Kunstwerke der Ausstellung „When love turns to poison“ im Bethanien. Der 44-Jährige war in den letzten Jahren vor allem durch Störungen von Gottesdiensten aufgefallen, er störte aber auch Bundestagsdebatten und Trauerfeiern und wetterte dabei vor allem gegen Homosexualität und gegen die evangelische und katholische Kirche. Von weitem scheint Roy quasi eine rechtsquerulantorische Version des bekannten Politaktivisten Kunzelmann zu sein, von dem man auch lange nichts mehr gehört hat. Bekanntlich hat Kunzelmann gerufen „Frohe Ostern, Sie Weihnachtsmann“ und dann den ehemaligen Bürgermeister Diepgen mit einem brandenburgischen Landei beworfen, was dann zu allerlei Verwicklungen im Nachhinein führte. Bei Kunzelmann denkt man wieder an die Geschichte dieser Zeitung und daran, dass damals in den 70ern alle RAF gewählt und Hasch geraucht hatten.
Doch zurück zu Osterdonnerstag, wo Günter Jauch im Stern-TV einen italienischen Jungen zu Gast gehabt hatte, der durch ein vom Vatikan beglaubigtes Wunder dann doch nicht tot war und nach seiner Genesung „wie alle Jungen seines Alters“ fröhlich mit seiner Playstation spielte, was mehrmals erwähnt wurde, so als hätte Sony dafür bezahlt. Im anderen Sender gab’s wie immer „Big Brother“, und es war wieder super, vom Menschlichen her. Es ist ja auch toll: Man schaltet an, und alle weinen, und man kennt kaum noch jemanden, weil die Fluktuation bei Big Brother so groß ist.
Alle waren jedenfalls sehr unglücklich, weil der Achim nun aus dem Container rausmusste, „er war ein guter Mensch, und das ist, was zählt“, sagte jemand. Mit brechender Stimme verabschiedete sich der Fernseh-Loser. Wegen Ostern wurde der Survivor-Bereich aufgelöst. Ein Typ, der sonst als Model arbeitet und ein bisschen zur Feier des 10. Todestags an Kurt Cobain erinnerte, war Teamkapitän und trug das gleiche Ché-Guevara-T-Shirt wie die dreijährige Tochter eines linksintellektuellen Kollegen. Am Karfreitag schwulten sie im Whirlpool herum, eine der Bewohnerinnen musste ins Bestrafungszimmer, eine Art Naughty Corner für Deutsche, weil sie eine der Überwachungskameras kaputt gemacht hatte, und abends gab’s das große „Bibel-Match“ mit Wettkämpfen, deren Szenerie von irgendwelchen Bibelpassagen aus dem Buch der Könige, den Sprüchen Salomons oder auch dem Neuen Testament inspiriert waren. Man ging über Wasser. Wie sonst auch im Leben triumphierten wieder einmal die Normalen.
Im Qualitätsfernsehen lief ein Wunschkonzert mit dem Titel: „Ich weiß, dass alles einen Sinn hat, auch wenn ich nicht so viel verstehe“. Sowas ist Mainstream in Deutschland. Eifrig klatschten alle rhythmisch in die Hände. „Die Leute mit den kleinen Renten, leisten sich die größten Enten“, sagte Ingo Insterburg, der gerade 70 geworden ist. Interessant auch, dass in den Geschäften niemand „Frohe Ostern“ wünschte, sondern eher „Guten Tag“. Am Karfreitag war das noch verständlich bei den türkischen Händlern hier, die sich wohl religionstechnisch nicht so ganz sicher waren, ob man dem Christenmenschen gerade an dem Tag, an dem ihr aus unchristlicher Sicht falscher Prophet ans Kreuz genagelt wurde, einen „Schönen Feiertag“ wünschen könnte oder ob das nicht pietätlos wäre. Aber auch Samstag und Sonntag hieß es eher „Schönen Feiertag“ und bestenfalls (nur einmal) „Schöne Ostern“, aber nie „Frohe Ostern“. Bevor man dazu ein Theorem über das angenehm laizistische Berlin entwickeln konnte, erzählte aber eine Freundin, ihr sei eher erstaunlich häufig „Frohe Ostern“ gewünscht worden.
Samstagabend fragte eine Frau am Imbiss am U-Bahnhof Warschauer Straße: „Wo isch der Flusch Schpree?“ Das klang nach einer skandinavischen Sprache plus Sprachfehler und die Frau am Imbiss verstand nichts. Sonntagmorgen stand man vor der Kirche am Marheinekeplatz, zögerte eine Weile und ging dann doch nicht rein, weil die Sonne so schön schien wie zuletzt vor Jahren und aus Gründen der Pietät. Man geht ja auch nicht auf Beerdigungen von Leuten, die man nicht persönlich gekannt hat. Stattdessen also lieber zum Schlossplatz, wo es ein Osterfest gab mit Bungeespringen für Arme und schöner Musik. Zum Beispiel „Karl der Käfer wurde nicht gefragt / man hatte ihn einfach fortgejagt“. Weil Moma genauso schwachsinnig klingt wie Studi oder Prenzlberg, ging man dann ins Alte Museum, wo grad eine Ausstellung mit Meisterwerken der französischen Genremalerei gezeigt wird. Komischerweise hat sich noch niemand über das verspielt sodomitische Fragonard-Gemälde „Mädchen mit Hund“ aufgeregt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen