nebensachen aus sofia: Bulgarische Volksvertreterdiät
Manchmal verkaufen sich Nachrichten gut, die keine sind – und das sogar über Wochen. Derzeit erfahren drei bulgarische Abgeordnete, wie es ist, einen Monat vom Mindesteinkommen in Höhe von 120 Lewa (umgerechnet knapp 60 Euro) zu leben – wohl wissend, dass der Selbstversuch „Bulgarien von unten“ Mitte April beendet ist.
Der gemeine Bulgare ist mit Schadenfreude hautnah mit dabei – dank der beiden Tageszeitungen Trud und 24 Tschasa. Dort ist – teilweise auf mehreren Seiten – täglich zu lesen und zu betrachten, welche Erfahrungen der Parlamentarier X, sonst in das Polster des Dienstwagens gekuschelt, in der Holzklasse der bulgarischen Eisenbahn macht. Wie selbiger unschlüssig in einem Imbiss an seiner Geldbörse fingert und überlegt, ob er sich noch einen Kaffee leisten kann.
Besagte Blätter gehören zur Zeitungsgruppe Bulgarien. Hinter der verbirgt sich der deutsche Waz-Konzern. Der hat seit einigen Jahren sein Herz für das von der Transition gebeutelte Bulgarien entdeckt und besitzt dort mittlerweile den größten Anteil am Printmarkt, wobei die Zeitungsleser mit akzeptablen Preisen und die Mitarbeiter mit ebensolchen Löhnen bei Laune und der Stange gehalten werden.
Bei so viel Einfallsreichtum (das Experiment hat schon in Tschechien stattgefunden) wollte die Konkurrenz nicht zurückstehen. So holte der erste nationale Sender Darek-Radio zum Gegenschlag aus. Dessen Besitzer, der Geschäftsmann Radosvet Radev, ließ 820 Lewa (410 Euro) aus seiner Privatschatulle springen. Diese Summe verdient ein Volksvertreter – Einkünfte aus lukrativen Nebentätigkeiten wie Ausschussarbeit und Aufwandsentschädigungen nicht mitgerechnet.
Empfänger der großzügigen Spende ist die vierköpfige sozial schwächelnde Sofioter Familie Georgiew mit 250 Lewa Einkommen. Die darf jetzt einen Monat zwar nicht wie Gott in Frankreich, dafür aber wie ein Abgeordneter in Bulgarien leben. „Am Anfang waren wir überglücklich, dass sie uns ausgesucht haben“, bekennt Vater Krassimir. Doch die Freude über den unverhofften Geldsegen währte nicht lange. Umsonst gibt’s nun mal nichts und einen Obolus vom Radio schon gar nicht. So müssen die Georgiews nicht nur jeden Lewa, den sie ausgeben, auflisten. Fast täglich wird die Familie auch von einer Reporterin des freigiebigen Senders belagert, die sogar zum Einkaufen mitgeht, das neue Leben in Saus und Braus festhält und den Erfahrungsbericht über den Äther schickt.
Von wegen Saus und Braus. Die elf Monate alte Tochter Jana hat endlich die lange benötigten Schuhe bekommen, und Mutter Maria ist in diesem Monat von Konserven auf frisches Gemüse umgestiegen. Auch ein Kinobesuch und ein Familienausflug in den Erlebnispark „Sofia Land“ waren drin. „Der Rest geht wohl für liegen gebliebene Rechnungen drauf“, sagt Krassimir und wirkt etwas betreten, legt aber nach: „Doch das Selbstbewusstsein wächst, wenn man mal erfährt, wie es ist, ein normales Leben zu führen.“
Alles in allem also ein gelungenes Experiment mit einem echten Erkenntnisgewinn für alle Beteiligten. So dürften die drei Abgeordneten spätestens jetzt wissen, was in Bulgarien jedes Kind weiß: dass man von 120 Lewa nicht leben kann, es sei denn, jemand steht auf Nulldiät. Und den Georgiews bleibt die Erfahrung, dass nicht nur Geld wertvoll ist, sondern auch ein wenig Privatsphäre. BARBARA OERTEL
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