piwik no script img

standbildDer gute Mensch von Bremen bei Johannes B. Kerner

Die Tyrannei der Intimität

Johannes B. Kerner frohlockte. Der bekennende Sozialdemokraten-Fan, den sie beim ZDF JBK nennen, grinste am Dienstagabend wie ein Honigkuchenpferd, als er „den Mann“ in seiner Show begrüßen durfte, „der seiner Partei gezeigt hat, dass man auch als SPD Wahlen gewinnen kann“: Henning Scherf.

Mit gespielter Naivität fragte Kerner den Bremer Bürgermeister, warum er am Wahlabend eigentlich „so unglücklich dreingeschaut“ habe. „Weil ich an die CDU gedacht hab’, die die Wahlen verloren hat“, flötete der zurück, ohne rot zu werden. Und im Publikum wischte man sich erste Tränen der Rührung aus dem Gesicht. Welch ein selbstloser Herr, dieser gute Mensch aus Bremen. Er habe „vernünftig und besonnen“ auf das Wahlergebnis reagiert, lobte sich Scherf weiter. Er könne es nicht leiden, „falsche Hurra-Töne zu produzieren“ oder eine „Victory-Show“ abzuziehen, so Scherf in der Kerner-Show.

„Wenn Sie Schröder wären, würden Sie mit Merkel?“, versuchte JBK nun wimpernklimpernd und ganz investigativ zu eruieren, ob denn die Große Koalition auch etwas für die Bundespolitik wäre. Scherf griff zum Altherrenhumor: „Höhöhö, wie meinen Sie das?“ Prustender Beifall im Hamburger Fernsehstudio.

Doch genug der drögen Politik, von nun an ließ es JBK gewaltig menscheln. Henning Scherf durfte einmal mehr sein persönliches Credo herunterbeten: „Ich habe keinen Fahrer, keinen Bodyguard, keinen gepanzerten Wagen, ich fahr’ mit dem Fahrrad durch die Stadt.“ Weiter ging’s mit intimen Details aus dem Leben des Herrn Scherf. JBK ließ ihn erzählen, wie er am Anfang seiner Pubertät gestottert habe. Überhaupt sei das ja eine „schrille Zeit“, so mit 11 oder 12 Jahren. „Manche springen in die Weser und bringen sich um, bei mir war’s halt das Sprechen.“

Dann das Kapitel Liebe. Unvorstellbar, dass Ministerpräsidentenkollegen wie Erwin Teufel oder Peer Steinbrück ihr Beziehungsleben in derart epischer Breite vor der glotzenden Nation ausbreiten würden. Mit 17 schon habe er sich in seine spätere Frau verliebt, so Scherf – von Anfang an habe er gewusst, dass er sie heiraten werde. Doch weil er so „verklemmt und scheu“ gewesen sei, habe er sich jahrelang ganz vorsichtig an sie „herangerobbt“. Dann endlich kam der erste gemeinsam Urlaub – „da haben wir gleich ein Kind in die Welt gesetzt“.

Schließlich durfte der Genosse Henning JBK noch rasch all jene Scherfiaden bestätigen, die in keinem Porträt fehlen und die ihm seine Redaktion auf Karteikärtchen notiert hatte. Scherf küsst gerne Omas. Scherf lebt in einer WG. Scherf trinkt seit zwei Jahren nur noch heißes Wasser. „Ganz wunderbar“ gehe es ihm seitdem. Prasselnder Schlussbeifall, strahlende Zuschauer. Endlich haben sie mal den Menschen hinter einem Politiker kennengelernt: authentisch, ehrlich, offen. So ganz ohne Berechnung. Und fast so nett wie JBK. jox

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen