: Der akademische Rednerwettstreit
Wer den prominentesten Gastredner aufbietet, punktet – in den Medien und bei den Studierenden. Gestern kam es wieder zu diesem beliebten Duell zwischen den beiden Unis. Es traten an: Exprofifußballer Oliver Bierhoff (HU) und Expolitikerin Hildegard Hamm-Brücher (FU). Die taz rezensiert
Erst wo der Schauspieler sich selbst vergessen kann, da blüht sein Werk, da reicht er dem Publikum die Hand zur Einigkeit. Nein, die Genießer der Illusion sollten sich nicht erschrecken lassen von diesem Namen: Oliver Bierhoff. Er klingt nach Schweiß und Stollen, nach Schwiegersohn und Stolz. Doch hört: Es ist der Meister, der aus zwei Universen eine Welt erklärt – und Zuschauer entzückt. Olli macht das.
Gewiss, er war trefflich in Szene gesetzt, als er gestern früh Premiere feierte in den Humboldt’schen Gemäuern Berliner Bildungskunst. Regie führte die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, jenes Machwerk von Arbeitgeberverbänden, das viel von den Erfordernissen des Schauspiels weiß – und wohl verpackt zu viel Sozialstaat als unsozial verkauft.
Der Auftritt des früheren Fußballprofis und Nationalmannschaftskapitäns war sehenswert, ein perfekt durchkomponiertes Gesamtwerk: Ein streng umschlipster Adonis stand an der Eingangstür, wählte das Publikum aus und versagte trotz freier Ränge der Masse den Zutritt. Feinbezwirnte Damen an der Seite des Helden, dem sich die Türen öffneten, so er vor sie trat. Kurz: Ein köstliches Bild, das allein anzusehen schon höchsten Genuss bereitet hätte.
Doch es gab den Protagonisten, der im harten Konflikt seiner Zeit die Welt erklären konnte und den Nerv der Zeit zu treffen wusste in seinem Pamphlet „Was die Gesellschaft vom Sport lernen kann“. Es sind Worte wie Bierhoffs, die in Zeiten universitärer Sparzwänge den Bildungsbegriff neu formulieren, wenn trefflich auf Fußballdeutsch erklärt wird, dass der Sozialstaat abgeschafft gehört – und niemand verfolgt, was dieser Feinbehaarte eigentlich tatsächlich im Schilde führt. „Klassenerhalt kann nicht Deutschlands Anspruch sein! Wie kommen wir wieder in die Champions League?“, reicht er dem Zuschauer den Konflikt weiter, sieht in Deutschland dann „nur Trippelschritte, wo ein kraftvoller Sprint nötig wäre“. Treffsicher spricht er bei seinem Auftritt 43-mal von „Leistung“, 39-mal von „Wettbewerb“. Und danach wirkt der Bann: Alles hat zu leisten, alles zu wettbewerben. Wie im Sport. So einfach ist die Welt.
Die Ränge beben ehrehrbietig vor dem, der all das, was Deutschland noch vor sich hat, schon geschafft hat, der weiß, was es heißt, zu kämpfen. Und der, ach!, doch während der Europameisterschaft 1996 für uns das Golden Goal schoss!
Die Frevler, die diese so simple Botschaft nicht vertragen wollten, übernahmen selbst ihren Part in der vornehmen Guten-Morgen-Show und boten dem neoliberalen Marionettentheater sportlich Paroli: Sie bewarfen den unerschrockenen Charmeur mit Plastikbällen und analysierten die Intention der populistischen Werbeveranstaltung trefflich: „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft präsentiert: Total balla-balla!!!“
MARTIN KAUL
Wer ist eigentlich diese zierliche Dame mit den feinen, schlohweißen Haaren am Rednerpult, wird sich manch zu spät Gekommene/r wohl gefragt haben. Umrahmt von zwei Palmen stand sie dort auf akademischer Bühne, wie schon nach dem Krieg im Münchner Stadtrat, dem Bayerischen Landtag oder danach als Staatssekretärin im Bildungsministerium und später als Ministerin im Bundestag.
Das Publikum hatte sich nicht gerade in Scharen in das Audimax der Freien Universität verlaufen. Kein Wunder: In der medienbestimmten Welt ist die intellektuelle, historisch auf mehrere Jahrzehnte, ja die gesamte Nachkriegszeit zurückblickende Koryphäe der Zeitgeschichte eher graue Eminenz als bekannt.
Die letzte Grande Dame der deutschen Politik mit ihren liberalen Grundüberzeugungen, Hildegard Hamm-Brücher, ist für Studierende von heute kein Superstar.
Muss man sich Sorgen machen um die politische Bildung in den Schulen? Warum sonst ist die zum weiteren Kreis der studentischen Widerstandsgruppe Weiße Rose zählende Frau der studentischen Zielgruppe kaum bekannt, obwohl sie im Jahr 2002 nach über 50 Jahren wegen der antisemitischen Umtriebe aus der Westerwelle-FDP, die nicht mehr ihre war, austrat?
Ruhig hörten die Erstsemester zu, was Hamm-Brücher über „Chancengerechtigkeit und lebenslanges Lernen“ als ihren „Anmerkungen zu hochschul- und demokratiepolitischen Herausforderungen“ zu sagen hatte. Die Stimmung blieb ernst, fast kühl und nach einem kurzen Applaus verließen die Studierenden fast fluchtartig ihre Plätze, um sich im Foyer beim Empfang zu stärken.
Die geladenen, durchweg ergrauten Freunde und Gäste sowie Prominente, angeführt von Bundespräsident a. D. Richard von Weizsäcker, blieben im vorderen Drittel bis zum Ende des ausklingenden Musikstücks sitzen. Die Promis blieben unter sich, ebenso die Studierenden. Nur Hildegard Hamm-Brücher signierte noch kurz ein, zwei Dutzende Bücher.
Was bleibt? Die Erinnerung an eine würdige Rede, eine, wie man sie öfter zu hören wünscht. Hildegard Hamm-Brücher, Jahrgang 1921, hat sich ihr Leben lang für Demokratie, Freiheit und eine die Nazizeit aufarbeitende Erinnerungskultur eingesetzt. Eine Frau, die sich als Idol für Studierende eignen würde. Leider, das ist zu befürchten, dürften jedoch die meisten Studierenden schon bald wieder vergessen haben, was Hamm-Brüchers Vortrag beinhaltete – nämlich unter anderem die Frage nach der großen Idee oder Vision der Universität der Zukunft in einem demokratischen Bildungssystem.
Hildegard Hamm-Brücher ist eine resolute, mutige, durchsetzungsfähige Charakterpolitikerin, die 1994 im Gegensatz zu den heutigen Kandidaten die richtige Statur zur Bundespräsidentin gehabt hätte.
TOBIAS RASCHKE
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