: Bei den Schaltungen ist was im Gange
Nabe, Kette, Hybride – und das Schalten auch noch dem Computer überlassen? Immer mehr Gangschaltungskomfort kann mitunter auch zum technischen Overkill führen. Und ebenso zu Trotzreaktionen in Form von „unten ohne“
In die Gänge kommen wollen wir alle. Aber einige lassen einfach in die Gänge kommen, statt selbst profan zu schalten. Was für Autofahrer ein alter Hut ist, bedeutet für die Fahrradwelt der Sprung in eine neue Zeitrechnung: die automatische Schaltung. „Smover“ heißt das jüngste Kind des Zubehörriesen Shimano – ein Fahrrad mit Bordcomputer. „Das erste Rad der Welt, das sich den Menschen anpasst“, stellte Peter Kreuder von Shimano Europa das zusammen mit namhaften Radherstellern entwickelte Bike kürzlich in Hamburg vor.
Der Fahrer wählt ein Schaltprogramm, den Rest regelt das System – fast unbemerkt. „Die Schaltautomatik dürfte der Markt der Zukunft sein“, meint der Buchautor und Bike-Entwickler Hans-Christian Smolik. Vor allem Senioren und Frauen soll die Weltneuheit zum Kauf animieren. Und natürlich diejenigen, für die das richtige Schaltwerk ein Statussymbol ist. Ein „Smover“-Komplettrad wird, je nach Hersteller, zu einem Preis von 1.300 bis 2.600 Euro zu haben sein.
Es scheint sich um die nächste Evolutionsstufe in Sachen Gangschaltung zu handeln, nachdem Rohloffs „Speedhub“ mit ihren 14 echten Gängen das Mauerblümchendasein des geschlossenen Nabensystems vor einigen Jahren beendet hat. Im Segment der Nabenschaltung gilt sie inzwischen als „State of the Art“. „Auch in Sachen Bordcomputer werden jetzt viele Nischenanbieter ihr Glück versuchen“, sagt Smolik. Doch er glaubt: „Das große Geschäft macht – Patent sei Dank – vor allem einer: Shimano.“
Gerade hat der Japaner auch bei seinen eigenen Nabenschaltungen noch einen Gang draufgelegt. „Nexus Inter-8“ heißt das Produkt, acht Gänge, versteckt in attraktivem Design. Die Fahrradgemeinde hat halt viele Möglichkeiten, immer unterschiedlicher, ausgefeilter und auch immer edler in die Gänge zu kommen. So gibt es ja auch schon Kettenschaltungen mit 30 Gängen, die etwa Campagnolo und auch Shimano für Rennräder feilbieten. Und für Fachleute scheint das Ende dieser „Inflation der Gänge“ noch lange nicht in Sicht zu sein.
Doch können 30 Gänge oder mehr überhaupt nützlich sein? Oder ist der technische Overkill eher dröhnendes Marketing der Hersteller? Schließlich hat eine Kettenschaltung mit rechnerischen 27 Schaltstellungen aus technischen Gründen bisweilen nur halb so viele sinnvoll einsetzbare Gänge.
Auch Hans-Christian Smolik sieht Nachteile: „Otto-Normal-Radler ist bei der Bedienung von 30 Gängen oft überfordert. Und auch der ambitionierte Fahrer kann im leichtesten Gang zwar steilste Berganstiege bewältigen, allerdings bei normaler Trittfrequenz nur in einem solchen Schneckentempo, dass er sich dabei kaum auf dem Rad halten kann.“
Wen die Tücken einer hoch gepuschten Kettenschaltung schrecken, der findet vielleicht in Hybrid-Produkten die Alternative: Da gibt es etwa die „DualDrive“ des Herstellers SRAM, eine Kombination aus Kettenschaltung und einem zuschaltbaren Nabengetriebe. Auch kleinere Hersteller feilen an Kombinationen, die beide Schaltungsvarianten vereinen – für manche Experten eine ebenso zukunftsweisende Entwicklung wie die automatische Innovation.
Andererseits haben die Hightechlösungen eine Gegenbewegung auf den Plan gerufen: Fahrräder ganz ohne Schaltung. Es sind nicht mehr nur die bequemen „Einkaufsräder für die Dame“ oder die unverwüstlichen Holland-„Gazellen“, bei denen die Gangwahl flachfällt. Längst haben die – wie sie in einschlägigen Chatrooms genannt werden – „kastrierten“ Velos ganze Typengattungen unterwandert, allen voran die ausladenden, sanft geschwungenen „Cruiser-Bikes“.
Die Nostalgie-Velos setzen ganz aufs Image. Deren Hersteller werben mit „sanftem Dahingleiten im Single-Speed“ statt mit Power-Getriebe. „Wo nichts ist, braucht es keine Wartung und kann nichts geklaut werden“, erklärt ein Bike-Fan die Leidenschaft der vor allem jungen, männlichen Cruiser. „Unten ohne“ ist halt einfach sexy.
CHRISTOPH RASCH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen