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vorlaufUnberechenbare Unschuld

„Tatort: Das Phantom“ (Montag, 20.15 Uhr, ARD)

Eine großartige Besetzung, ein intelligentes Drehbuch sowie eine gut getimte Regiearbeit: Der vom WDR produzierte Tatort wird einmal mehr seiner herausragenden Stellung unter den TV-Krimis gerecht. Die Story bewegt sich nicht auf eingefahrenen Gleisen, sondern wählt einen eigenen Weg, auf dem sie eine Reihe tragischer und interessanter Charaktere aufsammelt.

 Am Anfang steht ausnahmsweise nicht die obligatorische Mordtat eines Bösewichtes, den es daraufhin zu jagen gilt, sondern die Erkenntnis, dass Kommissar Schenk alias Dietmar Bär vor fünf Jahren offenbar einen Unschuldigen hinter Gitter gebracht hat. Aber in der Hoffnung auf vorzeitige Entlassung hat das Justizopfer mittlerweile die Tat gestanden, für das es fälschlicherweise eingebuchtet wurde. Dem damit verbundenen Bewährungsantrag wird allerdings überaschenderweise nicht stattgegeben, und der impulsive Knacki verschafft sich daraufhin mit Gewalt Zugang zur vermeintlichen, aber lange ersehnten Freiheit.

 Da das deutsche Justizwesen diese Art autonomer Entlassung aus dem Gefängnis auch bei unschuldig Inhaftierten nicht duldet, zumal wenn dabei ein Vollzugsbeamter den Schlüssel des Lebens abgibt, wird das Unschuldslamm zur gejagten Mordbestie. Bei der von Verzweiflung geprägten Flucht steht ihm eine überengagierte Sozialbetreuerin zur Seite, deren leichtfertig gegebenes Versprechen auf eine gemeinsame Zukunft der Flüchtende nun eingelöst sehen will.

 In der Folge entwickelt sich eine dramatische Hatz, in deren Verlauf sich der Gejagte immer mehr ins Verderben stürzt. Orientierungslos sucht er nach einem Halt, nach einem Punkt aus seiner Vergangenheit, an dem er anknüpfen könnte, nach einem Notausgang in eine gesicherte Zukunft. Seine Flucht wird zur Auseinandersetzung mit Schuld und Sühne – nicht nur für ihn, sondern auch für Schenk.

 Der Kommissar fühlt sich schuldig und sieht in dem flüchtenden Mörder einen Leidtragenden, während dieser ihn für sein Schicksal verantwortlich macht und ihn zur Rechenschaft ziehen will. Dabei wird der einst Unschuldige immer mehr zum unberechenbaren Verbrecher. „Letzte Woche war ich einfach ’n armes Arschloch, das ’ne Menge Pech gehabt hatte“, resümiert das anfängliche Opfer. „Jetzt bin ich ein zweifacher Mörder.“ Ein Zitat, das deutlich macht, dass Kriminalfilme in der Tat weit mehr als bloß die typischen Wer-war-der-Täter-Geschichten sein können.

JAN-RÜDIGER VOGLER

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