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Die Fehler der Töchter

Das Theater totsaufen, den Kapitalismus und das Patriarchat auch: Ganz schön groß, das Vorhaben der Regisseurin Angela Richter und des Musikers Ted Gaier von den „Goldenen Zitronen“, die gleich mit zwei Produktionen in Berlin zu sehen sind

von ANDREAS BECKER

Sie probten mehrere Wochen im alten Postfuhramt Mitte ein nicht ganz unbekanntes Drama: Shakespeares „König Lear“. Angela Richter, Hamburger Regisseurin mit Nebenwohnsitz in Berlin, und der ansonsten mit „Goldenen Zitronen“ handelnde Musiker Ted Gaier. Als ich das Duo zu Beginn ihrer Proben traf, erzählte Gaier, wie er Theater als junger Mann und Politpunk natürlich abgelehnt habe: „Theater war einfach Bildungsbürgerscheiße, zugeschisssen mit Geld, eine total tote Sache. Oder es war Feuerspucken, eine alberne Hippiesache, Therapie in der Fußgängerzone. Als die Neubauten mit Zadek abhingen, haben wir sie beschimpft. Das galt damals natürlich auch für Schorsch.“ Der Zitronen-Kollege Schorsch Kamerun ist mittlerweile selbst im Theatergeschäft, inszeniert gerade in Zürich und erntet Verrisse.

Gaiers Weg in die ehemals abgefuckte Hochkultur begann über die Freundschaft mit der 1970 geborenen und in Kroatien und Stuttgart aufgewachsenen Angela Richter. Die Gastarbeitertochter hat Theater schon in ihrer frühesten Kindheit in Split live erlebt und quasi sogar in Aufführungen mitgewirkt. Bei großen Staatsempfängen Titos musste sie mit tausenden Vorschulmädchen im kurzen Rock Lieder für den Staatschef singen. Das hat für sie im Nachhinein etwas sehr Vulgäres: „Tito als potenten Liebhaber aller Jugoslawinnen preisen. Eine merkwürdige Frivolität, vor allem wenn man erst sechs ist.“

Ende der Neunziger ließ sich Ted von Angela, die inzwischen Theaterwissenschaft studiert hatte, dann überreden, mal ins Schauspielhaus zu Marthaler zu gehen. Ihre Zusammenarbeit bei der Band Les Robespierres ging immer mehr weg von der reinen Musik. Gaier denkt nach: „Dass Robespierres sich Richtung Theater entwickelt haben, war kein bewusster Prozess. Das kam eher aus dem Beherrschen des ganzen Coolnessdings.“ Dieses Ding zog vor allem die Mods an, die in schmalen Krawatten und Anzügen zu den Konzerten kamen. Irgendwann nervten die Mods zusehends, weil sie das Coolnessding total ernst nahmen, obwohl es für Gaier und Richter letztlich nur ein spannendes Spiel mit kulturellen Codes ist. „Das ist natürlich total öde, wenn du auf ein Publikum triffst, was eine bestimmte Erwartung hat, die es exakt erfüllt haben will. Die Situation kannst du gar nicht mehr umdrehen. Die wollen einfach nur ihre coolen Sixties-Tänze machen und hinterher schwafeln über irgendwelche Small-Faces-Platten oder ihre Button-Down-Hemden.“ Darauf reagieren Les Robespierres zunehmend mit einem theatralischen Spiel, das Konflikte zwischen Patron und Landarbeiter in gebrochener Agitprop-Attitüde inszeniert.

Daraus wiederum entwickelte sich ein „ernsthaftes“ Theaterprojekt, das Mitte März am Schauspielhaus Hamburg Premiere hatte und jetzt im Podewil das Festival reich & berühmt eröffnet: „L’Amérique“ basiert u. a. auf Ideen des Migrantenromans América von T. C. Boyle, auf Texten von Angela Davis und den Black Panthers. Für die „Propaganda Operette“ hat Richter lange Teach-ins mit den Schauspielern veranstaltet, um ihnen die Komplexität des Themas Migration und moderner Kapitalismus nicht einfach als auswendig gelernten, abgespulten Text einzutrichtern.

Diese Methode probierte sie jetzt auch mit den nur sechs Schauspielern, die ihr für den „Lear“ zur Verfügung standen. Kurz vor der Premiere haben Richter und Gaier noch zwei ältere arbeitslose Mitteverlierer von einem Stromkasten direkt weg engagiert. Die beiden spielen nun Kumpels und Buttler des Königs. Trotzdem ist die Personaldecke für Völkerschlachten relativ dünn und der eigentliche Plan, Lear als Titoverschnitt mit Völkeraufständen im kaputten Postkönigreich Jugoslawien zu verhackstücken, musste verworfen werden. Nun will man sich auf den Zerfall des Patriarchen in der Familie beziehen, ein wenig wie in dem Dogma-Film „Das Fest“. „Das kennt jeder“, glaubt Ted Gaier, „dass man jemand in der Familie hat, der irgendwann nicht mehr schnallt, was die Kinder bewegt und der dann abserviert wird ins Altersheim.“ Für Angela Richter ist der gesellschaftlich interessante Aspekt, dass das „abgewirtschaftete Patriachentum durch nichts anderes ersetzt worden ist. Dass die Töchter die gleichen Fehler machen wie der Vater. Nur sehr viel schneller.“

Ihr Lear ist schließlich ein berlinernder, zuhälterhafter Exherrscher. Die Töchter sind Champagner süffelnde New-Economy-Schnepfen. Der Hofstaat steht Beck’s saufend am Tresen. Auf der Premierenfeier soffen Publikum und Produzenten die „Bildungsbürgerscheiße Theater“ dann endgültig zu Tode.

„Lear. Ungehorsam, unfreiwillig“. Sophiensäle, 11.–14. Juni, 20 Uhr. „L’Amérique“, Podewil 12./13. Juni 19 Uhr

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