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theaterSchwanengesang mit Kindsmörderin

Mit einem Paukenschlag bereitet das Schauspiel Köln sein Publikum auf die Schließung der Außenspielstätte Halle Kalk zum Ende dieser Spielzeit vor: Mit einer überaus fesselnden „Medea“ zeigte es noch einmal, was in diesem alten Fabrikgebäude möglich war – und vielleicht nur dort.

Um Mythen und unterschiedliche Lesarten, um Frauengestalten und ihre Ambivalenz ging es Uwe Hergenröder, der Händels „Lucrezia“ mit der Medea-Interpretation der israelischen Komponistin Tsippi Fleischer verband. Da genügte ein Blick auf die Bühne, um fest gefügte Bilder zu erschüttern: Hoch auf einem Container steht Lukretia – kein bedauernswertes Selbstmord-Hascherl, sondern eine Powerfrau, die sich über das Geländer lehnt und ihre Verletzung in die Welt hinaus singt. Die Mörderin Medea dagegen ist gefangen: in einem abgeschrägten Käfig, verfolgt von Alpträumen und von Jason, der sie verlässt. Verfolgt von männlichem Pöbel, der aus Kellerlöchern kriecht und ihr den Mord an den Kindern in die Schuhe schiebt.

Doch war Medea wirklich eine Kindsmörderin? In den ältesten Überlieferungen nicht, erst seit Euripides kennt die antike Sage den Kindermord. Schließlich konnte eine Frau, die zuerst die Neue ihres Mannes und dann noch deren Vater tötet, nicht einfach als Verzweifelte und Verlassene im kulturellen Gedächtnis der Männergesellschaft bleiben: Diese Frau musste ein Monster sein, die auch vor dem Mord an den eigenen Kindern nicht zurückschreckt. Und Lukretia, die römische Sagengestalt? Tötet sich eine Vergewaltigte tatsächlich aus „Schande“, wie oft und gern kolportiert? In Händels Kantate von 1708 ist es der Mangel an Alternativen: Nachdem sie die Götter vergebens um Rache angefleht hat, bleibt Selbstmord als einziger Ausweg aus dem Schmerz.

Dalia Schaechter brillierte in beiden Titelpartien, sang barocke Verzierungen als Lukretia, reizte als Medea die Stimme aus wie eine antike Nina Hagen. Da fragt man sich: Warum werden in Zeiten knapper Kassen hochkarätige Inszenierungen ganze sechs Mal gespielt? Wäre eine Extra-Aufführung für den Stadtrat, die die Schließung der Halle erzwungen hat, kein guter Gedanke gewesen? Oder war dieser Opernabend von vornherein als Schwanengesang auf die Halle Kalk geplant? Holger Möhlmann

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