: Roll over Kabelwerk
Köpenicker Jugendliche haben eine Brache in einen Park für Skates und Fun verwandelt. Ihr Projekt begeistert Treuhand, Sponsoren und Bezirk. Am Wochenende startet die dritte „Mellowpark Jam“
von BEATE WAGNER
Nur der grüne Zaun zur Friedrichshagener Straße hin ist neu. Dahinter wuchert Unkraut zwischen alten Betonplatten, rechts steht ein brüchiges Backsteinhaus mit aufeinander gestapelten Sofateilen vor der Tür, links liegt eine riesige, denkmalgeschützte Fabrikhalle mit zerbrochenen Scheiben. Es ist staubig und heiß auf dem ehemaligen Industriegelände der „Kabelwerke Köpenick“. Entfernt hört man Stimmen und das Krachen, wenn die Skater über Metallschwellen „grinden“. Es sind die typischen Geräusche des „Mellowparks“, einem der bundesweit mittlerweile größten Skateboarding- und BMX-Parks. Auf fast 10.000 Quadratmeter stoßen hier Extremsportler bis zu sieben Stunden täglich an ihre Grenzen, und das nicht nur auf Rollen.
„Wir wollen jungen Leuten die Möglichkeit geben, hier einfach Zeit zu verbringen“, erklärt die Pressesprecherin Claudia Hofmann. „Mellow steht für Entspannung und es ist egal, ob die Jungs und Mädels aktiv sind oder nur hier rumhängen“, begeistert sich die gelernte Werbekauffrau. Die 29-Jährige verbringt dort „mittlerweile selbst jede freie Minute“.
Angefangen hat alles zu Ostzeiten. Gefunden haben sich die Jugendlichen im ehemaligen FDJ-Jugendzentrum. 1994 gründeten sie im Köpenicker Salvador-Allende-Viertel den Verein „alleins e. V.“. Als ihr Treffpunkt wenig später einem Einkaufszentrum weichen musste, wurden die Jugendlichen in ein Haus auf dem Industriegebiet verbannt. Dort eröffneten sie den Club wieder unter dem Namen „All“ – mitten in einer frustrierend anmutenden Brachfläche.
Doch nicht für die Jugendlichen. Die fühlten sich durch den ständigen Blick auf die Pampa inspiriert und entwickelten ein Nutzungskonzept. Damit gewannn die Gruppe zweimal in Folge den staatlichen Wettbewerb „Jugend entwickelt das neue Berlin“. Im Sommer 2001 folgte ein erstes großes Festival. Das dreitägige Event „Mellowpark Jam“ mit Streetball- und Soccertunier, Bands und Skatepark fand bei mehr als 4.500 Sport- wie Lifestylebegeisterten großen Zuspruch – auch die Treuhand zeigte sich angetan und stellte ihr Gelände zunächst bis zum Jahresende zur Verfügung. Anfang 2002 erhielt das Projekt einen unbefristeten Mietvertrag.
Seitdem geht es für die Mellowparker richtig zur Sache. Zielgruppeninteressierte Sponsoren wie Adidas, Carhartt oder Eastpak investieren und bauen die Provisorien in einen festen Sportpark um, Partner wie Berliner Pilsener, Smirnoff und andere bewirtschaften die Gäste der zahlreichen Sommerevents.
Die neuen Aufgabenbereiche haben sich die langjährigen Freunde indes je nach Kompetenzen aufgeteilt. Der gelernter Gas-Wasser-Installateur Miguel Jarysz macht beispielsweise „den Bauleiter“, Claudia Hofmann hat die Pressearbeit übernommen, der Maurer David Neumann ist im Mellowpark „für alles Handwerkliche“ zuständig. Insgesamt sind es 30 junge Frauen und Männer, die, teils vom Arbeitsamt als ABM- bzw. SAM-Kräfte eingestellt, teils als Erzieher vom Bezirksamt bezahlt, für den Trendsportpark sowie das benachbarte „All“ arbeiten.
Neben dem „Skater-Streetpark“ bietet das Areal einen Basketballplatz, ein Beachvolleyballfeld, einen Grillplatz sowie Bademöglichkeiten an der Müggelspree. BMX-Fahrer riskieren ihren Hals auf einer aus 1.000 Kubikmeter Lehm errichteten „Dirtanlage“ – eine spezielle Hügellandschaft, die täglich bewässert und gepflegt werden muss. Im Zentrum der Anlage türmen sich Berge von Sand, die demnächst in einen Rasensoccerplatz verwandelt werden.
Sonst grillen, chillen und lauschen die Jugendlichen bekannten DJs oder schlagen sich angetrunken im nächtlichen Wettkampf durch die Spree. Bis zu 150 Kids zwischen 8 und 27 Jahren kommen im Sommer täglich in den Ostbezirk, bei Open-Air-Events sind es schon mal mehrere tausend internationale Gäste.
„Es ist super hier und viel größer als bei uns“, so der 13-jährige Gregor aus Fürstenwalde. Mindestens zweimal im Monat nimmt der Siebtklässler nach der Schule mit seinem Freund Max die etwa eineinhalbstündige Fahrt mit Zug und S-Bahn auf sich, um im Mellowpark zu skaten. Wenn es hitzefrei gibt, machen sich die Jungs mit ihren offenen Turnschuhen und viel zu weiten T-Shirts sogar schon vormittags auf den Weg. Dann bleiben ihnen vier bis fünf Stunden zum Skaten, bevor sie wieder in die Provinz müssen. Obwohl es hier trotz Hitze keine Getränke oder eine Eisbude gibt, kommen die beiden gerne her. „Uns interessiert nur das Skaten auf der glatt geteerten Bahn, Eis essen kann ich auch zu Hause“, so Max.
„Wir wollen hier alle keinen Kommerz“, betont der 26-jährige Miguel. „Jeder soll das machen können, was er will, und wir arbeiten so gut zusammen, weil wir auch sonst befreundet sind. Das ist das Besondere an unserem Spielplatz“, erklärt der Langhaarige, der selbst auch BMX-Fahrer ist, aber noch lieber Motor-Cross-Rennen fährt.
Aus der Köpenicker Jugendkulturszene ist der Mellowpark nicht mehr wegzudenken. Auch Bezirksjugendstadtrat Joachim Stahr (CDU) ist zufrieden: „Die Entwicklung hat uns Recht gegeben, in den letzten zwei Jahren ist doch wirklich etwas Tolles entstanden. Es ist sehr sinnvoll, solche Trends zu unterstützen, und ich bewundere die jungen Menschen für ihr Balancegefühl und nicht nur sportliches Engagement.“ Das aber überlässt er den Kids. Aufs BMX-Rad hat er sich bisher nicht getraut. „Das geht doch dann eher in den artistischen Bereich“, so Stahr.
Für den 23-jährigen David, auch „Neumi“ genannt, liegt der Spaß vor allem darin, sich beim Skaten den nötigen „Kick zu holen.“ Oft zieht sich der gebräunte Typ mit den Muskelpaketen „erstmal ein paar Skater-Videos rein, bevor er rollen geht“. Damit er dann auf dem Brett so richtig aufgeheizt ist. Nur „Inliner“ kann Neumi nicht leiden. Der leidenschaftliche Skater erklärt entrüstet: „Man muss doch wenigstens von seinem Arbeitsgerät abspringen können.“
Die Jungs und Mädels sind stolz auf das, was sie auf die Beine gestellt haben. Auch wenn die meisten zwischen 20 und 30 und damit noch fast zu jung sind, um viel mit der DDR zu tun gehabt zu haben, scheint sowohl sie als auch das Gelände des Mellowparks noch ein gewisser Ost-Charme zu umgeben. „Wir leben hier wie eine große Familie und haben gelernt, dass man aus wenig viel machen kann. Vielleicht ist es ja das, was uns noch ein bisschen vom Osten geblieben ist“, schließt Miguel.
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