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village voiceGrand Seigneurs: Mit „Hotel Morgen“ sind To Rococo Rot zu alter Lieblichkeit zurückgekehrt

Ihre Qualitäten sind Beständigkeit, Solidität, Zeitlosigkeit. Nein, die Rede ist nicht von Geldanlagen oder einer Versicherung. Sondern von „Hotel Morgen“, dem neuen Album von To Rococo Rot. Das Schaffen von Ronald und Robert Lippok und Stefan Schneider lässt sich längst in solch staatstragende Kategorien fassen. Im September 1995 ohne die Absicht gegründet, überhaupt eine Band zu werden, hat man sich – mit fünf Alben, die in immer länger werdenden Abständen erschienen – einen soliden Status erspielt. Längst haben die beiden Berliner Brüder und ihr Mitstreiter aus Düsseldorf alle Krautrock-Vergleiche der Frühzeit ausgesessen und sind aufgestiegen zu Grand Seigneurs der hiesigen Electronica.

Wenn sie das Genre hierzulande schon nicht erfunden haben, so haben sie es – zusammen mit Kollegen wie Mouse on Mars oder Kreidler (bei denen Stefan Schneider stets auch spielte) – zumindest entscheidend mitgeprägt. Ihre Musik entstand und entsteht in Jam-Session mit elektronischen und klassischen Instrumenten, die Nachbearbeitung erfolgt am Computer – das ist ein mittlerweile weit verbreitetes Konzept.

So haben To Rococo Rot abgesteckt, was im Niemandsland zwischen Song und Sound, zwischen digital und analog machbar war und stilbildend wurde. Sie haben mit den Elektro-Eklektikern von Saint Etienne gearbeitet, aber auch für die Gitarrenvirtuosen von Die Haut.

Ohne To Rococo Rot wären solche Grenzziehungen vielleicht länger starr geblieben. Ohne sie hätte der Data Pop vielleicht auf sich warten lassen, wäre der Erfolg von The Notwist auf weniger fruchtbaren Boden gefallen.

Nun allerdings verlaufen die Grenzen mittlerweile an anderer Stelle. Dort, wo To Rococo Rot fast schon stur weiteragieren, ist kein Niemandsland mehr, das es zu entdecken gilt. Lange schon ist es nicht mehr per se aufregend, elektronische Instrumentalmusik mit Songstrukturen zu spielen. So wird das Beharren auf dem Bewährten zum Problem: Zu leicht degradiert sich diese Musik selbst zur Soundtapete.

Kein Ton sperrt sich gegen seine Eingliederung in die allgemeine Harmonie, keine Melodie springt einen an. Alles ist so verdammt stilvoll und elegant, so abgesichert und durchdacht, dass es passieren kann, dass „Hotel Morgen“ plötzlich zu Ende ist und man erst dann feststellt, dass man nicht mehr zugehört hat.

Vor drei Jahren, auf dem Vorgänger „Music Is A Hungry Ghost“, hatten To Rococo Rot noch versucht, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen und den New Yorker DJ und Produzenten I-Sound alias Craig Willingham als viertes Bandmitglied integriert. Dessen Einfluss, seine Samples als Störgeräusche, führte dazu, dass sich die wohl bekannten To-Rococo-Rot-Strukturen auflösten und das Trio quasi die Dub-Version des eigenen Entwurfs konstruierte.

Nun aber, mit „Hotel Morgen“, ist die Lieblichkeit zurückgekehrt. Man könnte böswillig auch sagen: die Beliebigkeit. Wohl geformte Klanglandschaften aus butterweichen Tönen werden gemütlich durchwandert von souverän gesetzten Melodiebögen. Diese Musik ist wie eine Fahrt mit dem ICE: Das Rattern der Rädern ist weniger zu hören als zu spüren, und die Bilder, die draußen vorbeirasen, verschwimmen zu einer grauen Masse. Doch wenn man sich zwingt, beständig zuzuhören, weiß man wenigstens, dass man in solider Qualitätsmusik versinkt, die eine Chance auf Zeitlosigkeit hat. Irgendwie dann doch eine gesicherte Wertanlage.

THOMAS WINKLER

To Rococo Rot: „Hotel Morgen“ (Domino/Rough Trade)

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