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Wenn kleine Leute groß raus kommen wollen, werden sie auf die Schnauze fallen: Nach langer Abwesenheit hatte Friedrich Kloses faszinierend-merkwürdige Oper „Ilsebill“ in Aachen Premiere

Paul Esterhazy zeigt die gestörte Beziehung eines Paares als scharf zerstückelte Folge stark stilisierter Lichtbilder

VON FRIEDER REININGHAUS

Im Märchen der Gebrüder Grimm vom Fischer und seiner Frau scheint es einen kurzen Augenblick zu geben, in dem Ilsebill zufrieden ist. Der arme Mann hatte jene denkwürdige Begegnung mit dem sprechenden Butt; die aufstiegsbewusste Frau aber hält seinen Bericht, nach dem er das gefangene Tier wieder in die Freiheit entließ, für eine faule Ausrede; doch dann hält der Fisch Wort und beginnt – auch zu ihrem Erstaunen – ihre Wünsche zu erfüllen. Im Handumdrehen wird aus der Fischerkate ein stolzer Bauernhof, aus diesem bald ein Schloß. Da hält sie einen Moment inne und fragt sich und ihn: „Ist das nun nicht schön?“„Ach ja“, meinte darauf der Mann, „so soll es auch bleiben . . . Wir wollen zufrieden sein.“ Halb stimmt sie zu und soll, so die Grimms, vorgeschlagen haben, „es zu beschlafen.“ Darauf gingen sie zu Bett.

Man muss kein Verfechter der psychoanalytischen Märchendeutung aus dem Geiste Freuds sein, um zu ahnen, dass ein Konflikt in den tieferen Zonen des Verhältnisses der Eheleute zumindest ein Schlüssel des Märchens liegt. Vordergründig handelt es – „Mine Fru, de Ilsebill . . .“ – von den Wünschen einer vom Leben Benachteiligten: Sie will sozialen Aufstieg, Reichtum, Ehre, Macht. Schließlich Allmacht (da aber kippt die Geschichte um und alles ist perdu). Das Märchen der Gebrüder Grimm erhielt 1903 eine glühend sentimentale und dramatisch aufgewühlte Musik. Sie changiert zwischen Wagner- und Mendelssohn-Zitaten. Marcus R. Bosch nutzt die Höhen und Tiefen der clever komponierten Melange, um dem Aachener Orchester eine beachtliche Kraftanstrengung abzuverlangen. Die Partitur stammt von Friedrich Klose (1862-1942), einem Bruckner-Schüler, der mit einer Messe in memoriam Franz Liszt, der Orchester-Dichtung „Das Leben ein Traum“ und dem Oratorium „Der Sonne Geist“ nur wenig Aufmerksamkeit fand. Lange lebte er von kleinen Lehraufträgen, bis ihm mit „Ilsebill“, seiner einzigen Oper, ein Achtungserfolg gelang. Er war stramm rechtskonservativ eingestellt und Antisemit, wuchs zu einer der Stützen des Wilhelminischen Reichs heran. In München wurde – es war der Höhepunkt seiner Karriere – im Kriegs-Hungersommer 1918 eine „Klose-Woche“ durchgezogen (den Leuten wäre wohl eine Woche lang Klöße lieber gewesen). Als sein Kaiser abhanden und die Republik kam, verzog der Künstler ins Tessin, entsagte der Tonkunst und widmete sich fortan ganz der Schriftstellerei. Als das 21. Jahrhundert noch frisch war und vor den Künstlern freie Fahrt zu liegen schien, wollte der Ton der „dramatischen Symphonie“ so hoch hinaus wie die Frau des armen Fischers. Dem Tenor Norbert Schmittberg scheint die Rolle des bescheidenen und besonnenen Mannes wie auf den Leib geschneidert. Aber er spielt im Hinterland der Zweierbeziehung nur die zweite Geige. Um Hauptes- und Hutlänge überragt ihn Lisa Graf, auch an Stimmvolumen. Die Kopfbedeckung wächst mit jeder Wunschrunde von der flachen Kappe zur respektablen Haube, zum Fürstinnenhut und zur Triara. Sie wird ja, Butt sei Dank, wirklich Kirchenoberhaupt und will gar göttlich werden. Die Inszenierung von Paul Esterhazy zeigt die gestörte Beziehung eines Paares als scharf zerstückelte Folge stark stilisierter Lichtbilder hinter gerastertem Gazevorhang. Der scharfe Kontrast hebt alle Betulichkeit auf und macht die harten Kerne der Parabel sichtbar: Das Unverständnis der Frau für die menschlichen Verhaltensweisen ihres Mannes und sein Unvermögen gegenüber ihrer Triebstruktur. Von mal zu mal ist es ihm peinlicher, dem Fisch die immer maßloser werdenden Forderungen der Gattin vorzutragen (und immer rascher und härter werden die Spots auf der Bühne). Bis sie wie Gott sein will – da finden sich die Fischersleute unvermittelt, nackt und bloß in einer Kajüte wieder, durch deren Bullauge man den Butt gründeln sieht. Merke: Es kann nicht gut gehen, wenn kleine Leute so groß rauskommen wollen – sie werden auf die Schnauze fallen. Auch wenn aus der noch so viel schöne Melodie kommt.

Theater Aachen02. Mai, 19:30 UhrKarten: 0241-47841