nachgeforscht: Wiwi-Wirren gehen weiter
Seltsames geht vor sich am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Bremen. Nachdem die taz Anfang Juni von einer akademischen Intrige bei den Wiwis, anonymen E-Mails und erschrockenen Professoren berichtet hat, ging in der Redaktion das Schreiben einer jungen Frau ein, die nach eigenen Angaben wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem der Lehrstühle des Fachbereichs ist. Die Absenderin gibt an, „mit den Kolleginnen und Kollegen bekannt“ zu sein, „die sich hinter dem Pseudonym ‚Tanja Till‘ verbergen“. In bösen E-Mails, die den beiden Wiwi-Professoren Thorsten Poddig und Franz Jürgen Marx geschickt worden waren, war jeweils ein Link auf die Homepage einer „Tanja Till“ enthalten gewesen. Konkret wurde Marx und Poddig in den Mails vorgeworfen, angeblich eine Klausur zu früh abgebrochen und hinterher keine Einsicht in die Arbeiten gewährt zu haben.
Der Inhalt dessen jedoch, was auf der Till-Homepage zu lesen stand, vergrätzte die Uni offenbar so sehr, dass sie Strafanzeige gegen Unbekannt stellte. Die anonyme Briefeverfasserin schreibt nun, dass ein Teil des Wiwi-Mittelbaus tatsächlich „seit einiger Zeit an einem Buch mit dem Titel ‚Prof. Mini Marx‘s Tod – eine Realsatire aus der und über die Universität Bremen‘“ arbeite. Die beiden ersten Kapitel habe die Gruppe unter dem Pseudonym „Tanja Till“ als Leseprobe ins Internet gestellt. Ein Professor namens Mini Marx stirbt darin einen recht unappetitlichen Tod. Verdächtigt werden 70 Studenten, die durch eine Wiederholungsklausur im Fach „Finanzwirtschaft und betriebliche Steuerlehre“ gefallen waren. Der Dekan Bottich, der wie Mini Marx selbstredend an die realen Professoren erinnern soll, zeigt sich erleichtert darüber, dass die Vernichtung der Klausurprotokolle unbemerkt blieb – bei „Tanja Till“.
Offenbar hatte „Tanja“ jedoch einen wunden Punkt getroffen. „Was von den Autoren als groteske Überspitzung gedacht war, hat scheinbar ins Schwarze der Realität getroffen“, schreibt die wissenschaftliche Mitarbeiterin. „Wie wir zwischenzeitlich herausgefunden haben, sind die Protokolle und die Teilnehmerlisten der Klausur vom Oktober 2002 tatsächlich verschwunden.“ Eine mangelhafte oder fehlende Protokollierung gebe Studierenden einen „Anfechtungsgrund“. Studenten, deren Studium sich aufgrund des Nichtbestehens der Klausur verzögert habe, könnten „Schadensersatzansprüche geltend machen“. Vor diesem Hintergrund, heißt es in dem Brief weiter, „finden wir es schlicht empörend, dass die Universität die Herren Marx und Poddig als bedauernswerte Opfer einer Verleumdungskampagne darstellt, während gleichzeitig die getäuschten Studierenden mit der Androhung von Strafanzeigen mundtot gemacht werden, um so eine Klageflut abzuwenden.“
Die Universität reagierte kühl auf die Vorwürfe aus dem Wiwi-Mittelbau. Die Satire von „Tanja Till“ sei „unter der Gürtellinie“ gewesen, deshalb ermittle die Staatsanwaltschaft wegen Beleidigung. Die Teilnehmerlisten hingegen seien ordnungsgemäß geführt worden, sagt Uni-Pressesprecherin Winnie Abraham. „Es hat nachweislich keine Beschwerden zum Klausurverlauf gegeben.“ Protokolle wiederum seien „zu der Zeit rechtlich nicht notwendig gewesen“. Erst jüngst, Monate nach besagter Klausur, habe der Wiwi-Fachbereichsrat „Ausführungsbestimmungen zur Diplomprüfungsordnung“ verabschiedet, nach denen ein Klausurprotokoll angefertigt werden muss. jox
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