piwik no script img

„Der Haushalt ist ausgequetscht“

Sparen allein ist keine Lösung, sagt der Finanzexperte Dieter Vesper vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Er fordert für Berlin eine Mischung aus Haushaltssperre und neuen Schulden, um Steuerausfälle abzufedern

taz: Herr Vesper, wie wird die Steuerschätzung für Berlin ausfallen?

Dieter Vesper: Das ist schwer zu beantworten, weil viele regionale Faktoren mit hineinspielen. Die Stadt wird erhebliche Abstriche gegenüber der Schätzung vom November machen müssen. Ich rechne mit einem unteren dreistelligen Millionenbetrag.

Die Mindereinnahmen vom November sind im aktuellen Haushalt schon eingerechnet hat. Ein Vorteil?

Ja, weil dadurch die Löcher weniger groß sein dürften als in anderen Länderhaushalten.

Plötzliche Einnahmeeinbrüche gehören zum Alltag von Haushaltspolitikern. Warum ist es so schwer, auf ein Minus von möglicherweise 100 Millionen zu reagieren?

So eine Summe scheint nur auf den ersten Blick leicht verkraftbar. Aber der Berliner Haushalt ist durch die Sparanstrengungen der vergangenen Jahre ausgequetscht. Da ist es schwierig, zusätzlich und kurzfristig zu sparen.

Die Politik will neue Schulden machen. Bei einem Minus von 53 Milliarden fallen 100 Millionen Euro nicht weiter auf. Was halten Sie davon?

So gesehen völlig richtig. Es wäre auch aus konjunkturellen Gründen schlecht, wenn man jetzt zusätzlich sparen wollte. Das geht kurzfristig nur über Sachausgaben und Investitionen, was die regionale Wirtschaft trifft. Andererseits lasten höhere Zinsausgaben auf zukünftigen Haushalten. Der Finanzenator ist in einer Zwickmühle.

Wie würden Sie das lösen?

Mit einer Mischung aus beidem. Der Finanzsenator könnte einen Teil der Mindereinahmen – vielleicht 50 Millionen Euro – durch eine Haushaltssperre ausgleichen und den Rest mit neuen Schulden finanzieren.

Kann die Stadt den Schuldenberg alleine abtragen?

Die Stadt muss jährlich 5 Milliarden mehr ausgeben, als sie einnimmt. Das ist auf Dauer nicht zu verkraften. Die Defizite müssen verkleinert werden. Das geht nicht, ohne dass die Wirtschaft wieder Tritt fasst, es konjunkturell also aufwärts geht.

Hat Berlin Einfluss darauf?

Nur sehr wenig. Ein erhebliches Einnahmeproblem liegt in dem geringen Gewerbesteueraufkommen. Wäre Berlin so wirtschaftsstark wie München, kämen 700 Millionen Euro mehr in die Kasse. Aber auch dann kann Berlin selbst mit größtmöglicher Spardisziplin keinen solide finanzierten Haushalt vorlegen. Berlin ist auf Hilfen des Bundes angewiesen. Voraussetzung dafür aber ist eine weiter konsequente Sparpolitik.

Geberländer sagen, es gibt kein Einnahmeproblem, weil die Einnahmen durch den Länderfinanzausgleich für alle gleich sind. Stimmt das?

Im Prinzip ja. Aber die Stadtstaaten werden im Länderfinanzausgleich gesondert behandelt. Berlin stehen für jeden Einwohner derzeit 135 Prozent dessen zu, was Flächenländer pro Kopf aus dem Finanzausgleich bekommen. Mir scheint das zu niedrig. Nach unseren Berechnungen sind 160 Prozent angemessen. Darin liegt ein nicht unerheblicher Teil des Berliner Finanzproblems.

INTERVIEW: THORSTEN DENKLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen