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Häftlinge in Gefängnis misshandelt

In der Stadt Brandenburg/Havel sollen Staatsdiener Häftlinge verprügelt haben. Das Justizministerium bestätigt Vorwürfe teilweise, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Weil sich solche Vorfälle häufen, wird die Justizministerin jetzt scharf kritisiert

VON DANIEL SCHULZ

Das Land Brandenburg hat einen neuen Skandal. Diesmal hat sich jedoch kein Minister bereichert, es ist auch keine Chipfabrik Pleite gegangen. In der größten Justizvollzugsanstalt des Landes, in Brandenburg an der Havel, sollen Häftlinge brutal misshandelt worden sein.

Vermummte Bedienstete hätten sie nachts mit Gummiknüppeln geschlagen, das haben Exhäftlinge und ein noch Inhaftierter dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) gesagt. Seit 2001 soll dies immer wieder passiert sein. Und das Justizministerium in Potsdam hat die Vorwürfe zum Teil bestätigt. „Einem Gefangenen, der einen Herzinfarkt hatte, wurde in der fraglichen Nacht medizinische Hilfe verweigert“, sagte Justizsprecherin Dorothee Stacke, „es gibt dazu aber unterschiedliche Aussagen.“ Gegen bis zu acht Bedienstete wurden Disziplinarverfahren eingeleitet, Beamte sollen vom Dienst suspendiert werden.

Sowohl die regierenden Parteien der großen Koalition aus SPD und CDU als auch die einzige Oppositionspartei PDS haben eine Sondersitzung des Rechtsausschusses gefordert. Die PDS wird bei der Landtagssitzung am nächsten Donnerstag eine dringliche Anfrage stellen. „Etwas Schlimmeres kann gar nicht passieren“, sagte Stefan Sarrach, rechtspolitischer Sprecher der Brandenburger PDS, der taz. „Deshalb darf die Justizministerin das dieses Mal nicht mit einem Lächeln abtun.“ Die PDS wirft Ressortleiterin Barbara Richstein (CDU) mangelnde Sensibilität im Umgang mit dem Strafvollzug vor. Riechstein äußerte sich dazu nicht.

Fakt ist: Die Misshandlungsvorwürfe sind kein Einzelfall. Seit Januar 2003 ermittelt die Staatsanwaltschaft, weil Häftlinge von Bediensteten gezwungen wurden, für sie Bootswerkzeuge und einen Grill zu bauen. Die Wohnungen von sechs Bediensteten wurden durchsucht, die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Verdächtigt werden auch hier Beamte der JVA Brandenburg/Havel. Im Herbst des vergangenen Jahres tagte der Rechtsausschuss, weil ihm ein Brief eines Gefangenen zugestellt worden war, der ebenfalls in Brandenburg/Havel einsaß.

Der Mann, der zuvor für ein Verhör von Berlin verlegt worden war, schrieb, er habe Angst um sein Leben. Man habe gedroht, ihn bei unbotmäßigem Verhalten zu disziplinieren. Der Brief wurde an den Petitionsausschuss weitergereicht, passiert ist nichts. Beamte und Häftlinge der JVA hatten am Rande einer Kulturveranstaltung im vergangenen Mai erzählt, es gebe seit einigen Jahren ein Klima der Gewalt in der Anstalt. „Trotzdem darf man das nicht dramatisieren“, sagt Sven Petke, der für die CDU im Rechtsausschuss sitzt. „Bei solchen Meldungen ist es sehr schwierig einzuschätzen, wie wahr sie sind.“ Der Justizexperte der SPD, Peter Muschalla, sieht dies ähnlich. Er macht der Justizministerin aber ebenso wie PDS-Mann Sarrach den Vorwurf, dass der Rechtsausschuss nicht informiert wurde. „Leider ist es zur Gewohnheit geworden, dass wir alles immer erst aus der Presse erfahren“, sagte Muschalla.

Rücktrittsforderungen an Richstein gab es bisher nicht, die Parteien wollen zunächst die Ermittlungen abwarten.

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