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Ein Leben im Warteraum

Wo Träume platzen: Gemeinsam mit Filmstudenten dreht der französische Regisseur Tony Gatlif in einem Berliner Asylbewerberheim. Den Filmstart von „Asyl“ werden einige Darsteller nicht erleben

Die Flüchtlinge haben keinen Alltag, weder Arbeit noch Geld für ein U-Bahn-Ticket

VON SANDRA LÖHR

Es ist wie der Eintritt in eine andere Welt. Die flachen, weißen Container stehen zwischen hässlichen Fabrikanlagen und sind mit einem hohen Zaun von der übrigen Gegend abgetrennt. Im Hintergrund spuckt ein hoher Schlot Rauch in die Luft, und wer hier rein will, muss sich den misstrauischen Augen des Pförtners stellen. Aber die aufgestapelten Container sind keine Büros oder Produktionsstandorte irgendwelcher Firmen, sondern Wohneinheiten für Menschen, die in Deutschland auf ein besseres Leben hoffen.

Ein Industriegebiet am nördlichen Rand von Berlin. Hier gibt es keine Wohnhäuser, keine Supermärkte, keine Schulen und schon gar keine Parks oder Cafés für Menschen, die tagsüber viel Zeit haben. Die nächste Haltestelle, um in die Innenstadt zu kommen, ist eine Viertelstunde Fußmarsch entfernt, und neben dem Eingang zum U-Bahn-Schacht gibt es nur eine Autowaschanlage und eine Tankstelle. Das Asylbewerberheim in der Motardstraße ist die perfekte Kulisse für die trostlose Existenz von Asylbewerbern in Deutschland. Und darum seit ein paar Wochen Drehort für den Episoden-Spielfilm „Asyl“.

„Es geht bei diesem Projekt vor allem darum, den Menschen, die hier auf ihren Asylbescheid warten, ein Gesicht zu geben“, sagt David Sieveking. Er ist Student an der Deutschen Film- und Fernsehakademie und einer der Regisseure, die hier, teilweise mit echten Asylbewerbern, einen Spielfilm mit dokumentarischen Anteilen drehen. „Aber dabei soll nicht der politische Zeigefinger hochgehalten werden, sondern wir wollen die persönlichen Geschichten der einzelnen Flüchtlinge erzählen und wie es ist, wenn man hier sein muss.“ Denn der Alltag von Asylbewerbern in Deutschland besteht vor allem aus einem: Warten auf die nächste Anhörung bei den Behörden und auf den endgültigen Bescheid, ob man dableiben darf oder wieder zurück muss. Dazwischen gibt es nicht viel zu tun. Die Flüchtlinge werden in dem Heim natürlich mit Essen versorgt, aber sie haben keinen Alltag, keine Arbeit und kaum Geld, um am normalen Leben in Deutschland teilzunehmen. Manche können sich noch nicht mal das U-Bahn-Ticket leisten, um aus dem Industriegebiet herauszukommen.

Genau darum soll es in „Asyl“ gehen. Der französische Filmemacher Tony Gatlif, der in diesem Semester als Filmdozent in Berlin lehrt und das Projekt gemeinsam mit sieben Studenten ins Leben gerufen hat, ist vor allem durch seinen Film „Gadjo Dilo“ bekannt geworden, der von der entwurzelten Lebenswelt der Roma erzählt.

„Asyl“ wird aus sieben miteinander verschränkten Episoden aus dem Leben der Heimbewohner bestehen und in einem Zeitraum von zwei bis drei Tagen spielen. Um möglichst authentische und wirklichkeitsnahe Geschichten zu erzählen, recherchierten die Studenten wochenlang in dem Asylbewerberheim und lernten die Bewohner kennen. Und einige der Flüchtlinge spielen sich im Film sogar selber.

„Das ist natürlich mehr als nur Filmemachen“, sagt Réka Kincses, die heute einige Szenen ihrer Episode „Der Pullover“ dreht. „Wir mussten uns ganz auf die Leute einlassen, sonst hätten sie uns nicht so viel von sich und ihrem Leben erzählt. Und die Grundidee, die wir alle am Anfang hatten, also was für Geschichten wir umsetzen wollten, hat sich während der Recherche noch mal ziemlich geändert.“

In Réka Kincses’ „Der Pullover“ geht es um die zwei georgischen Mädchen Anna und Vera, deren Freundschaft im Heim zerbricht. „Mir geht es darum zu zeigen, wie es ist, wenn man Anfang zwanzig ist und hier den ganzen Tag nur rumhängen kann. Was passiert da mit meinen Träumen?“ In der schmalen Küche, die im realen Heimalltag täglich von circa 20 Menschen zum Kochen benutzt wird, sitzt die Georgierin Natja, die die Figur der Vera spielt. Gerade dreht Réka Kincses mit ihr, wie sie sich von einem anderen Heimbewohner am Tisch ein Orakel aus Paprika-Schnitzen legen lässt.

Ein festes Drehbuch gibt es dabei nicht, die Regisseurin fordert ihre Darsteller zur Improvisation auf. Das geht so weit, dass sie begeistert und eifrig nickt, als plötzlich ein Trupp junger Inder auftaucht, mit denen ihr Kollege David Sieveking in der letzten Woche gedreht hat. Zuerst warten die Männer höflich im Flur und betreten dann routiniert und professionell auf das Zeichen von Réka Kincses hin die Küche und fangen an, zu kochen. Der Kameramann filmt die ganze Küchenszene, und als alles im Kasten ist, gibt es das gekochte Mittagessen für die Crew und die Darsteller. „Für mich war das eine wichtige Erfahrung“, sagt David Sieveking. „Gemessen an den Schicksalen der Leute hier, ist mein Leben echt ein Kinderfasching.“

„Asyl“ soll im September fertig sein. Ob sich dann allerdings alle darin mitspielenden Heimbewohner auf der Leinwand bewundern können, ist ungewiss. Darüber wird in den nächsten Monaten an den Schreibtischen der Ausländerbehörde entschieden.

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