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Lulas Eigentor

Brasilien weist Korrespondenten der „New York Times“ aus. Journalisten und Politiker reagieren empört

Brasiliens Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva hat zurückgeschlagen: Wegen eines Berichts des New York Times-Korrespondenten Larry Rohter über angebliche Trinkprobleme Lulas ließ er dem US-Journalisten das Visum entziehen. Die Anwesenheit Rohters in Brasilien sei „unangebracht“, teilte das Justizministerium vorgestern Abend mit. Der am Sonntag veröffentlichte „verantwortungslose und lügnerische“ Artikel habe die Ehre des Präsidenten verletzt und dem Ansehen Brasiliens im Ausland „großen Schaden“ zugefügt.

Vieles spricht dafür, dass Lula mit seiner überzogenen Reaktion gerade diesen Schaden nun selbst angerichtet hat. Rohters recht dünne Story hatte bis dahin vor allem bei brasilianischen Politikern für Aufregung gesorgt, aber auch breite Solidarisierung mit Lula ausgelöst. Die New York Times veröffentlichte einen Protestbrief des brasilianischen Botschafters in Washington, stellte sich aber hinter ihren Korrespondenten.

Der renommierte Journalist hatte geschrieben, Lula sehe zu oft zu tief ins Glas, was zu Spekulationen über seine Amtsführung geführt habe. In der Überschrift wurden die Zitate von Rohters Quellen, Lulas früherem Verbündeten und jetzigen Intimfeind Leonel Brizola sowie zwei obskuren Journalisten, zur „nationalen Besorgnis“ aufgeblasen. Rohter hatte aber bereits in der Vergangenheit durch kritische Reportagen den Unmut der regierenden Arbeiterpartei PT auf sich gezogen – PT-Vorsitzender José Genoino forderte als einer der Ersten eine „radikale Maßnahme“ gegen Rohter.

Journalistenverbände im In- und Ausland kritisierten die auch innerhalb der Regierung nicht unumstrittene Ausweisung. Es handle sich um einen „klaren Fall von Zensur und politischer Verfolgung durch eine demokratische Regierung, deren Anführer während der Diktatur ebenfalls verfolgt wurden“, sagte die Vorsitzende des Verbands der AuslandskorrespondentInnen in São Paulo, die Peruanerin Verónica Goyzueta. Der Chef der brasilianischen Pressevereinigung Maurício Azêdo wertete die Ausweisung des US-Amerikaners als „extrem gewalttätige Aktion“ und als Schlag gegen die Pressefreiheit. „Autoritär“, „stalinistisch“, „obskurantistisch mit faschistischem Einschlag“, schallte es aus allen politischen Lagern Brasiliens.

Der parteilose Abgeordnete Fernando Gabeira sagte, Rohters Bericht sei bedauerlich gewesen, „doch die Reaktion darauf ist sehr viel bedauerlicher. Es ist das erste Mal, dass wir in der Demokratie einen Journalisten ausweisen.“ GERHARD DILGER

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