dilemma der ethikkommissionen: Maulkorb für Ethiker
Medizinische Versuche am Menschen sind grundsätzlich nur mit der informierten Zustimmung des Probanden zulässig. Dieser Grundsatz der Ärzte, nach den furchtbaren Erfahrungen mit den Nazimedizinern festgelegt in mehreren internationalen Übereinkommen, unter anderem auch in der Helsinki-Deklaration des Weltärztebunds, gehört zweifellos zu den Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Auch müssen zum Beispiel Arzneimittel- oder Impfstofftests, die am Menschen ausprobiert werden, zuvor von einer unabhängigen Ethikkommission begutachtet werden. Nur: Wie aber soll man verfahren, wenn das Forschungsobjekt zur geheimen Verschlusssache erklärt wurde?
Diese Frage stellte sich auch die EU-Kommision bei ihrer Vorbereitung für ein europäisches Sicherheitforschungsprogramm, mit dem ab 2007 unter anderem die Entwicklung von Abwehrmaßnahmen gegen Bioterrorismus gefördert werden soll: Die neu entwickelten Impfstoffe gegen potentielle B-Waffen sollen ja schließlich nicht in die Hände von Terroristen fallen.
Man müsse den Probanden ja nicht alles offenbaren, meinte der norwegische Mediziner und Philosoph Redar Lie auf einer von der EU-Kommission oganisierten Tagung in Brüssel. Anscheinend gilt für ihn: „Eine halb-informierte Zustimmung ist auch eine Zustimmung“.
Lösungsvorschläge um aus dem Dilemma mit den Ethikgremien herauskommen hatte der Medizinethik-Professor auch. Man setze einfach einen Vorsitzenden ein, der zuvor einer Sicherheitsprüfung unterzogen wurde. Und er entscheidet dann vorab allein, ob der Menschentest auch dann von dem Ethikgremium begutachtet werden kann, wenn ihm nicht alle Informationen vorliegen. „Wenn ja, dann ist gut, wenn Nein, kann der Versuch nicht stattfinden.“
Sein zweiter Vorschlag: Es werden spezielle Ethikkomissionen eingerichet, in denen nur staatlich geprüfte Geheimnisträger sitzen. Bei denen kann man schließlich sicher sein, dass sie nicht schwatzen. So zumindest bleibt der Schein gewahrt, dass der Ärztekodex eingehalten wird. Nur das mit der Unabhängigkeit, das scheint dann doch noch ein Problem zu sein.
Wolfgang Löhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen