: Holzklasse wäre dagegen Luxus
Flüchtlingshelfer klagen: Es ist im Ausländeramt so schlimm wie nie zuvor. Die Duldung zu verlängern schafft am leichtesten, wer schon um vier Uhr früh vor der Tür steht. Innenressort kennt die chaotische Situation und kann sie sich nicht erklären
taz ■ „Es ist eine Katastrophe“, sagt Faruk Medjedovic gegen sieben Uhr früh. Umstehende nicken. Seit drei Uhr früh steht der 44-jährige Journalist aus Montenegro im Treppenhaus des Bremer Ausländeramts und wartet. Darauf, dass er weiter warten darf. Darauf, dass ihn um acht Uhr ein Wachmann der Behörde in den riesigen Wartesaal lässt, wo er seinen Pass vorzeigt und eine Zimmernummer zugewiesen bekommt – damit der anerkannte politische Flüchtling vielleicht heute noch, bevor das Amt wieder schließt, den Aufenthalt für Frau und Tocher regeln kann.
Vier Mal hat Medjedovic das in den vergangenen sechs Tagen versucht. „Aber da waren morgens um fünf immer schon zu viele Leute vor mir“, sagt Medjedovic. Heute hat er deshalb wieder Urlaub genommen. Als Nummer zwei in einer 15 Meter langen Warteschlange wird er sein Anliegen wohl bis Mittag geklärt haben.
In jedem Supermarkt würden solche Verhältnisse zum Aufstand führen. Doch im Bremer Ausländeramt beißen die Menschen die Zähne zusammen und stehen schweigend – vom Zweijährigen bis zum seriös gekleideten 55-Jährigen. Eine Sitzgelegenheit gibt es nicht.
„Man muss auf dem Boden sitzen oder sich die Beine in den Bauch stehen“, sagt Arsim Malolku*. Der junge Kosovare und eine befreundete Landsfrau kauern auf dem blanken Zement – seit halb fünf Uhr. „Hier ist immer Stau. Schlimmer als auf der Autobahn“, sagt Arsim lakonisch. In anderen Städten sei das nicht so. Müde sieht er aus. Bis ein Uhr hat er in einem Restaurant gearbeitet. Schräg gegenüber liegt ein Iraner auf dem Boden. Der Schlaf hat den 55-Jährigen übermannt. „Letzte Woche war ich Montag und Mittwoch um viertel vor sechs hier“, sagt er später. Beide Male sei er nicht mehr an die Reihe gekommen. Aber langsam läuft seine Zeit ab. Die Duldung ist immer befristet, überschreitet er das Verfallsdatum, muss er bei der kleinsten Kontrolle den größten Ärger befürchten. Ein Landsmann schiebt sich an seine Seite. „Ich bin vor Mullahs, Faschismus und Fundamentalismus geflohen. Jetzt stecke ich hier fest“, sagt der 40-Jährige. In der Heimat war er technischer Zeichner. In Bremen wartet er seit sieben Monaten auf eine Entscheidung des Asylbundesamtes. „Diese Gesellschaft sollte uns nicht wie Menschen zweiter Klasse behandeln.“ Dann sagt er: „Aber was wir hier auf diesem Amt erleben, ist wirklich nur ein vergleichsweise kleines Problem.“
Eine Bosnierin stimmt zu. Der Bürgerkrieg hat sie vor über zehn Jahren nach Deutschland verschlagen. Immer noch muss sie alle drei Monate zum Ausländeramt. „Wie heute war es eigentlich immer“, sagt sie nüchtern. Seit einem Jahr arbeitet die 39-Jährige als Verkäuferin in einer Bäckerei. Heute weiß der Chef wieder: „Ich muss später kommen.“ Wann? Das wüsste sie auch gerne. Aber auf Platz 25 hat die Braungelockte immerhin eine Chance, in eins der beiden Zimmer, für die gerade Wartenummern vergeben werden, vorgelassen zu werden.
„So schlimm wie jetzt war es schon lange nicht mehr“, sagt der Flüchtlingsberater Bassirou Ayéva. Flüchtlinge aus dem Wohnheim Peenemünderstraße beispielsweise würden immer häufiger kurz nach Mitternacht aufstehen, um früh genug im Ausländeramt zu sein. Sonst hätten sie keine Chance, die Duldung zu verlängern (siehe Kasten). Der Sprecher des Innenressorts, Markus Bayer, verspricht Besserung: Wenn das Amt im Herbst aufs ehemalige TÜV-Gelände in die Stresemannstraße zieht, werde alles anders. Man kenne die aktuelle Lage und bedaure sie. Dass allerdings gerade besondere Personalnot herrsche, kann er nicht bestätigen. „Vielleicht haben die vielen langen Wochenenden und die dadurch verkürzten Öffnungszeiten zu einem verstärkten Andrang geführt“, sagt er. Oder die anstehende Ferienzeit – aber das sei in allen Ämtern gleich. Eva Rhode
*Name geändert
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