piwik no script img

Bloß keine Eile …

In Bad Hindelang im Allgäu gibt es den „Langsamsten Wanderweg der Welt“

Auf elf Kilometern gibt es elf zünftige Wirtshäuser und Hütten

Auf den ersten, aber wirklich nur auf den ersten Blick, sehen sie aus wie ganz normale Bergwanderer. Ordentliches Schuhwerk, ein Rucksack locker geschultert, die Fröhlichkeit ins Gesicht gemeißelt. Es passt rundherum. Doch dann die Überraschung: kaum dass sich die kleine Gruppe in Bewegung gesetzt hat, tönt es schon aus der fröhlichen Wanderersrunde: „He, Reinhold, net so schnell – mach langsam!“ Oder auch: „Du weißt schon, wer zuerst oben ist bei der Hütte, der zahlt a Runde!“

Reinhold ist schon nach zwanzig, dreißig Schritten als Newcomer geoutet. Ihm gefällt die herrliche Berglandschaft von Bad Hindelang, und er stapft munter drauflos, gerade so, als wäre er auf einem ganz normalen Wanderausflug. Doch genau das ist er nicht. Reinhold marschiert den langsamsten Wanderweg der Welt entlang. „Wir haben auf den nächsten elf Kilometern elf zünftige Wirtshäuser und Hütten vor uns“, klärt Manuela ihren vorauseilenden Mitwanderer auf. „In jedes dieser Gasthäuser musst du einkehren, sonst bekommst du den Stempel nicht!“

Der Stempel gehört in ein grünes Faltblatt, das die Besucher der Allgäuer Urlaubsgemeinde Bad Hindelang ausgehändigt bekommen, wenn sie sich auf Wanderschaft auf den herrlichen Elf-Kilometer-Weg begeben und die „Schneckentour“ machen möchten. Startpunkt bei Kilometer null ist das Du-Hotel im Unterjoch. Das heißt deshalb so, weil sich hier jeder duzt – Chef und Chefin mit den Mitarbeitern, mit den Gästen, auch dem Kurdirektor. Dieser Kurdirektor, Max Hillmeier heißt er, erklärt denn auch, dass der langsamste Wanderweg der Welt weiß Gott nicht nur ein Einkehrweg ist. „Zwar passiert es immer wieder mal, vor allem am Vatertag, dass die Tour nur zum Zweck des Einkehrens gegangen wird. Aber uns geht es um viel mehr!“

Von der herrlichen Allgäuer Berg- und Kulturlandschaft spricht der Kurdirektor und von den schier unvorstellbar prächtigen Hindelanger Blumenwiesen. Dreißig verschiedene Orchideenarten könne der Wanderer auf dem langsamsten Wanderweg der Welt entdecken, verschiedene Enziansorten – auch flüssige. Aber da wären wir wieder genau da, wo Max Hillmeier nicht immer wieder stehen bleiben will: beim zu intensiven Einkehren.

Gabi, die leidenschaftliche Wanderin, die mit ihren zwei Jungen an diesem Tag die vierte Etappe ihrer ganz persönli- chen Wanderwegvariante geht, schwärmt von den Blumen, die jetzt schon blühen und den Sommer über noch blühen werden, von ihren Lieblingsgipfeln Rotspitze und Breitenberg. „Mit den Augen wandern“, nennt es ihre Freundin Manuela. Sich Zeit lassen, nicht von einem Ziel zum nächsten hetzen. Einer in der Wandergruppe erzählt, dass er den Rekordhalter auf dem langsamsten Wanderweg der Welt kennen gelernt habe. „Sage und schreibe elf Tage war der für die elf Kilometer unterwegs. In jeder Hütte, jedem Gasthof hat der übernachtet!“

Der Durchschnitt, merkt an dieser Stelle Max Hillmeier an, sei freilich nicht elf Tage, sondern elf Stunden. „Macht pro Stunde einen Kilometer, da bleibt wahrlich genügend Zeit zum Pausemachen!“ Kamerateams aus Japan und den USA haben auf dieser Schnecken-Rennstrecke vom Unterjoch bis ins Hintersteiner Tal schon gedreht. Bayerische Gemütlichkeit aus einer Ecke des Freistaates, die sich immer als eigenständige Region Allgäu positioniert und wo einem auf jeder Alm als Erstes erklärt wird, dass die Alm im Allgäu nicht Alm, sondern Alpe heißt.

Bei der ersten Berghütte angekommen, schreiten die Aktivwanderer zur ersten Pause. Eine Radlerhalbe wird bestellt und schon sind die Liegestühle in der Sonne aufgebaut. 150 Höhenmeter sind zu bewältigen, durchaus zu schaffen auf einer Länge von 11.000 Metern. Wo doch immer wieder eine Einkehrstation winkt. Bei Haltestelle Nummer acht, Prinz-Luitpold-Bad, gibt es sogar was umsonst, nämlich eine Schneckensuppe – auch nicht jedermanns Geschmack. Aber eben ein Gag auf einem Weg, der landschaftlich eine Menge zu bieten hat und bei dem die Pausen ausgesprochen erwünscht sind. KLAUS WITTMANN

Info: Gästeinformation Bad Hindelang unter 08324/8920 oder E-Mail info@hindelang.net oder im Internet unter www.bad-hindelang.info

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen