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Ein Feiertag für die russischen Bürokraten

Seit gestern brauchen Russen für eine Reise nach Kaliningrad Transitdokumente. Die meisten waren gewappnet

MOSKAU taz ■ Wera Alexandrowna prüft Ticket und Ausweis diesmal mit allergrößter Sorgfalt. Sie will auf Nummer sicher gehen, sagt die Zugbegleiterin im Express „Jantar“ (Bernstein), der Moskau jeden Mittag Richtung Kaliningrad verlässt. Die Ostsee-Exklave des ehemaligen Königsberg schneidet seit gestern nicht mehr nur das souveräne Litauen vom russischen Mutterland ab, nun ist sie von der künftigen EU umgeben und Teil einer bürokratischen Megamaschine.

Auf dem weißrussischen Bahnhof ging es dennoch ziemlich ruhig zu. Nur ein Passagier von etwa dreihundert musste den „Jantar“ verlassen, weil er keine Papiere bei sich trug. Das Ticket hatte er sich schon Anfang Juni besorgt und war wohl nicht auf die Veränderungen hingewiesen worden. Vor dem Waggon 8 sammelte sich gleich ein ganzer Pulk von russischen Bahnhofsvorstehern, Stellvertretern und Konsularangestellten. Kurzum: ein Feiertag für Hofräte und Bürokraten europaweit.

Ein schöneres Geschenk hätte man der allmächtigen russischen Beamtenschaft nicht machen können. Wera Alexandrowa wird vor allem von einem Impuls zu Genauigkeit angehalten. Jeder Reisende ohne das gültige „vereinfachte Transitdokument“ (VTD), auf das sich die EU und Moskau im letzten November nach einigten, bedeutet Zeitverlust an der Grenze und Verspätung im Heimatbahnhof. Und dafür kommt niemand auf.

Der Eisenbahner Sergei Wassilewitsch macht sich vor allem Gedanken, wie er demnächst an einen neuen Reisepass gelangen könnte. Obwohl von Berufs wegen auf der Strecke Kaliningrad–Moskau unterwegs, stempeln ihm die Litauer bei jeder Grenzkontrolle ein halbseitiges Visum in das Reisedokument. Reisepässe sind in Kaliningrad Mangelware. Etwa 400.000 von einer Million Einwohner besitzen noch keinen Pass, während die zuständige Behörde nur 7.000 Neuanträge im Monat erledigt.

An der litauischen Grenze in Kena kam es nur zu einem Zwischenfall. Aus dem Zug Tscheljabinsk–Kaliningrad wurden 47 Reisende ohne VTD aus dem Zug geholt. Sie erhielten an der Grenze nach stundenlangen Verhandlungen ein Visum und reisten gestern Abend weiter, entwarnte der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten, Rogosin, der seine sonst chauvinistischen Töne in eine moderate Europäer-in-spe-Tonlage verändert hat.

Nach der Hysterie im Vorfeld hat nun die praktische Vernunft gesiegt. Wer mit dem Zug in die Exklave reisen möchte, muss beim Ticketkauf Angaben zur Person machen. Innerhalb von 24 Stunden teilt Litauen via elektronisches System „Express“ mit, ob der Visaerteilung etwas im Wege steht. Überdies erhält der Bahngast von mitreisenden litauischen Beamten einen Fragebogen, gegen den er ausgefüllt ein Reisedokument der Bahn erhält, das an der Grenze nochmals kontrolliert wird. Autofahrer können in den litauischen Konsulaten ein VTD für fünf Euro erwerben, das zum Mehrfachtransit berechtigt. Für die Fahrt durch Litauen hat der Transitler 24 Stunden Zeit. Diese Begrenzung ist offensichtlich der Praxis im ehemaligen innerdeutschen Transitverkehr entlehnt.

KLAUS-HELGE DONATH

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