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fußpflege unter der grasnarbeOlympia kann kommen

Das erste Entsetzen ist gewichen, das tränenbenetzte Schneuztuch wieder in der Tasche verschwunden: Leipzig ist aus dem Rennen um Olympia 2012. Ohne Zorn und mit Bedacht gilt es in dieser historischen Stunde zu erkennen, welche Chancen und Möglichkeiten für eine norddeutsche Metropole in dieser – zweifelsohne höchst bedauerlichen – Entscheidung des IOC liegen: Olympia 2016 in Hamburg.

Ein Blick auf den hiesigen Amateurfußball lässt alle Bedenken in Sachen Infrastruktur und Kapazität schnell verschwinden. Wer wäre geeigneter, die hehre olympische Idee Baron Pierre de Coubertins aufzugreifen als die Tausenden Mehr-oder-weniger-Hobby-Buffer, die den Ball in dieser Stadt zwischen Oberliga und Kreisklasse streicheln und stauchen? Olympia 2016 an Alster und Elbe – und das ganz ohne „wachsende Stadt“. Über 200 Bolzplätze stehen als Austragungsorte in der Fußball- und Hansestadt bereit, viele davon in edelstem roten Grand. Dort finden – Tradition muss sein – die Leichtathletik-Wettbewerbe statt. Erster Kandidat fürs Laufen, Werfen und Hüpfen: Das Bergedorfer Billtalstadion, nach dem Zweiten Weltkrieg für über 30.000 Zuschauer errichtet. Eine langjährige Erfahrung in der Austragung von Bundesjugendspielen prädestiniert die Grand-Arena für das Herzstück Olympias.

Im Marienthal beim heimstarken SC Concordia geraten die Gegner ins Schwimmen? Fein, ein weiteres Problem gelöst. Geturnt wird im Wedeler Elbestadion, da die jungen Körperverbieger im nahe gelegenen Kindergarten unauffällig untergebracht werden können. Wegen des holprigen Rasens wurde Victorias Hoheluft-Stadion nach dem Pokalendspiel gerügt. Klagen wir nicht, sondern integrieren wir einige Wintersportarten in Eimsbüttels Spielstätten.

Das Snowboard-Buckelpistenrennen zum SC Victoria, der Eiskunstlauf zum gefrorenen Grandplatz des Nachbarn HEBC – die dortigen Rentner auf dem gefürchteten Meckerhügel werden mit ihren Kampfrichter-Kommentaren das olympische Eis zum Schmelzen bringen. Der Eimsbütteler TV erhält das Eishockey-Turnier: Wer lädiert über die Bande fliegt, muss nicht mehr weit zum benachbarten Universitätskrankenhaus Eppendorf getragen werden. Das Dressurreiten findet auf dem VfL 93-Platz am Borgweg statt, wo der schönste Rasen Hamburgs wächst und gedeiht. Zwar gibt es dort keine Tribünen, aber den Pirouetten-Pferden schaut ja eh keiner zu. Die Geschicklichkeitsprüfung wandert an den Königskinderweg zu Germania Schnelsen, schließlich lassen sich in unmittelbarer Nähe Ikea-Verkäufer als ideale Wertungsrichter requirieren.

Bleibt noch zu klären, wer die Olympische Flamme trägt. Ideal wäre Barmbek Uhlenhorsts Torjäger Jürgen Degen, früher beim 1. FC Kaiserslautern am Ball. Das garantiert nicht nur TV-Präsenz in Barmbek und der Pfalz, sondern wäre auch mehr als gerecht. Als ich neulich gemütlich im Stadtpark spazieren ging, joggte der sechs Jahre ältere Goalgetter an mir vorbei, die freundlichen Worte „Na, kannst du noch?“ im Munde führend. Als er weiterlaufend langsam am Horizont verschwand, beschloss ich, zwölf Jahre später vor dem Fernseher zu überprüfen, ob Degen sein Tempo auch 2016 noch hält.

Jetzt muss nur noch das IOC mitspielen.

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