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Hatten wir alles schon

Eigentlich sind Bundespräsidenten die personifizierte Wiederholung. Eine Typologie der drei Arten deutscher Staatsoberhäupter – unter Berücksichtigung des gescheiterten Pechvogels von gestern

VON PATRIK SCHWARZ

Der Fit-for-fun-Präsident

Def.: Ein Präsident, von dem keiner mehr weiß, ob er auch noch was Ernsthaftes tat.

Heinrich Lübke (CDU, 1959–69): Der Satz, der ihn bekannt machte, beginnt mit „Meine Damen und Herren, liebe …“, der Rest ist heute undruckbar. Jedenfalls wurde gerne über ihn gelacht, und auch sonst kam er ein bisschen daher wie die Westausgabe von Walter Ulbricht (SED).

Walter Scheel (FDP, 1974–79): Leistete in der Ostpolitik Großes als Außenminister unter Willy Brandt, dann fiel ihm nicht mehr viel ein. So sang er „Hoch auf dem Gelben Wagen“.

Karl Carstens (CDU, 1979–84): Kein Typ, der das Herz wärmte, dankenswerter Weise hielt er sich weitgehend in der freien Natur auf. Einzige politische Tat: Er erlaubte Helmut Kohl 1983 eine Bundestagswahl außer der Reihe – sodass der Kanzler (CDU) die sog. Wende vom Wähler absegnen lassen konnte.

Bilanz: Die Fit-for-fun-Präsidenten fühlten sich stets missverstanden. Wie Bodybuilder und Blondinen. Eigentlich haben sie nämlich ’ne Menge in der Birne, nur damit Sie’s wissen.

Der Hörzu-Präsident

Def.: Ein Präsident mit Ausrufezeichen, gab’s bisher in drei Geschmäckern: Liberal! National! Neoliberal!

Theodor Heuss (FDP, 1949–59, Liberal!): Lange beliebt in Form der 2-DM-Münze und segensreich für die junge Republik, deren erster Präsident er war: Strich z. B. das „Deutschland über alles“ aus der Hymne.

Richard von Weizsäcker (CDU, 1984–94, National!): Nur ein Nationaler konnte den Weltkrieg zum Verbrechen erklären, wie er in seiner 8.-Mai-Rede 1985. Sein Pech, dass er mit dem Highlight seiner Amtszeit, dem Mauerfall, nichts Rechtes anzufangen wusste. Stattdessen zickte er mit Helmut Kohl herum.

Roman Herzog (CDU, 1994–99, Neoliberal!): Der Grantler aus Niederbayern gab Deutschland nur ein Kommando und wurde berühmt. Auf den „Ruck!“ aber wartet er heute noch.

Und dann ist da noch Gesine Schwan.

Die Frau ist ein wandelndes Ausrufezeichen und damit die erste Sozialdemokratin in dieser Kategorie. Eigentlich müsse sie allein schon deshalb Bundespräsidentin werden, merkte neulich die FAZ an, weil sie die viele Freizeit nutzen könnte, in Ruhe ihr siebtes Buch zu schreiben.

Bilanz: Ein Präsidententyp, wie ihn die Deutschen verehren, gleich ob sie links oder rechts stehen (und ob der Präsident links oder rechts steht).

Der Zuhör-Präsident

Def.: „I hear your pain.“ (Bill Clinton, Amtskollege 1992–2000)

Gustav Heinemann (SPD, 1969–74): Der erste Sozi im Amt und auch sonst eine Seele von Mensch. Hielt nichts von Liebeserklärungen ans Vaterland, nur an seine Frau und ein wenig noch an die Studenten von 68. Für beides wird er bis heute von Sozialkundelehrern landauf, landab gepriesen.

Johannes Rau (SPD, 1999–2004): Erst der zweite Sozi, 25 Jahre nach Heinemann und mit einer Enkelin des Alten verheiratet (Christina, aber jetzt müssen Sie sich das auch nicht mehr merken). Reiste als Wessi oft in den Osten zum Zuhören, beantwortete viele Briefe persönlich, gerne auch mal einem Pferd.

Und dann ist da Horst Köhler.

Weiß angeblich viel von der Welt, aber wenig von Deutschland. Zum einen, weil er die letzten sechs Jahre auf Wirtschaftsjobs in London und Washington saß, zum anderen weil er offenbar in seinem Leben nur einen Roman gelesen hat (jedenfalls zitiert er ständig daraus: Bohumil Hrabal, „Ich habe den englischen König bedient“ über einen Lakaien, der zum Staatschef ausgerufen wird, wenn auch nur für kurze Zeit). Deshalb hat er gerade eine Easy-Listening-Tour hinter sich. „Erzählen Sie mir von sich!“ Um noch mal die FAZ zu zitieren: Er hat das Präsidentenamt verdient. Dann hat er endlich die Zeit, ein zweites Buch zu lesen.

Bilanz: Jeder Zuhör-Präsident träumt davon, das Rollenfach zu wechseln. Wäre lieber Hörzu-Präsident. Und noch lieber alles beides. Aber das hat noch keiner geschafft: der Hörzuhör-Präsident.

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